Geschlechterunterschied bei der Einnahme von Cannabis | GH Academy

Geschlechterunterschiede und Cannabis: Key Facts

  • Geschlechtsspezifische Wirkung von Cannabis wird in der medizinischen Forschung untersucht.
  • Einflussfaktoren: Biologische, pharmakokinetische und soziale Faktoren beeinflussen die Wahrnehmung und Verarbeitung von Cannabis bei verschiedenen Geschlechtern.
  • Personalisierte Behandlung: Verständnis dieser Unterschiede ist entscheidend für personalisierte Therapien und eine optimierte Gesundheitsversorgung für alle Geschlechter.

Die Nutzung von medizinischem Cannabis hat in den letzten Jahren weltweit zugenommen, da immer mehr Länder die therapeutischen Vorteile dieser Pflanze erkennen. Während die Forschung die vielfältigen Anwendungen und potenziellen Nutzen von medizinischem Cannabis weiterhin untersucht, gibt es zunehmend Hinweise darauf, dass geschlechtsspezifische Unterschiede eine wichtige Rolle bei der Wirkung von medizinischem Cannabis spielen können. In der Forschung gewinnt das Verständnis dafür, wie biologisches Geschlecht pharmakokinetische und pharmakodynamische Unterschiede beeinflusst, zunehmend an Bedeutung. Dieser Beitrag betrachtet die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Wirkung von medizinischem Cannabis und unterstreicht die Bedeutung einer differenzierten Betrachtung bei der Entwicklung von Therapiestrategien und medizinischen Empfehlungen.

Die Wirkung von Cannabis bei Männern vs. Frauen

Cannabis, eine Pflanze, die seit Jahrhunderten für ihre psychoaktiven Eigenschaften bekannt ist, hat in den letzten Jahren zunehmende Aufmerksamkeit für eine potenzielle medizinische Behandlung erhalten. Während die Legalisierung und Akzeptanz von Cannabis in vielen Teilen der Welt voranschreitet, wächst auch das Interesse daran, wie diese Substanz auf verschiedene Bevölkerungsgruppen, insbesondere auf Männer und Frauen, wirkt. Traditionell werden in der Forschung zunächst junge, gesunde Männer betrachtet. In den letzten Jahren haben jedoch zunehmend mehr Studien die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Wirkung von Medikamenten betont. Dabei sind einige Unterschiede zutage getreten:

  • Metabolismus und Bioverfügbarkeit: Studien legen nahe, dass Frauen tendenziell eine niedrigere Aktivität, der für den Abbau von Cannabinoiden verantwortlichen Enzyme, zeigen [2]. Dies kann dazu führen, dass Frauen im Vergleich zu Männern eine höhere Bioverfügbarkeit der Cannabinoide aufweisen und in der Folge stärker bzw. länger anhaltend auf die gleiche Dosis reagieren können [1, 3]. Insbesondere bei höheren Dosierungen können daher negative Emotionen wie Angst und Unruhe bei Frauen verstärkt auftreten.
    Zudem besteht ein signifikanter geschlechtsspezifischer Unterschied in der Dichte von Cannabinoid-1-Rezeptoren (CB1-Rezeptoren) in verschiedenen Hirnregionen [2]. Männer scheinen mehr CB1-Rezeptoren im Gehirn zu besitzen, während Frauen, selbst mit weniger CB1-Rezeptoren, eine höhere Wirksamkeit des CB1-Rezeptors zeigen. Demzufolge liegt es nahe, dass Unterschiede in der Rezeptoraktivierung auch Auswirkung auf die Effektausprägung haben können.
  • Hormonelle Einflüsse: Hormonelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern können die Wirkung von Cannabis beeinflussen. Insbesondere der Östrogenspiegel bei Frauen kann Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Schmerzen, Stimmung und Appetit haben, was wiederum die Art und Weise beeinflussen kann, wie Cannabis erlebt wird.
    Die Forschung an Ratten hat gezeigt, dass das Hormon Estradiol das Endocannabinoidsystem beeinflussen kann, was wiederum die Produktion von Estradiol beeinflusst [5]. Weibliche Ratten zeigten in wichtigen Gehirnregionen unterschiedliche Niveaus von Endocannabinoiden und empfindlichere Rezeptoren im Vergleich zu männlichen Ratten. Diese Bereiche sind mit der Regulation von Bewegung, sozialem Verhalten und sensorischer Verarbeitung verbunden und unterliegen signifikanten Veränderungen im Verlauf des Menstruationszyklus.
    Durch Sexualhormone kann die CB1-Rezeptordichte beeinflusst werden [5], wodurch ebenfalls Veränderungen der Endocannabinoide und der Enzyme, die Endocannabinoide verstoffwechseln, verursacht werden können. Darüber hinaus zeigen aktuelle Untersuchungen [4], dass Pregnenolon, der Vorläufer aller Steroidhormone, die Aktivierung der Cannabinoid-Rezeptoren direkt modulieren kann, wodurch die enge Verknüpfung zwischen Sexualhormonen und dem Endocannabinoidsystem weiter unterstrichen wird.
    Die Wechselwirkungen zwischen dem Endocannabinoidsystem und der Dopaminproduktion im Gehirn variieren je nach Geschlecht und können somit die durch Cannabinoide vermittelten Empfindungen von "Vergnügen" und "Belohnung" beeinflussen. Experimente haben gezeigt, dass die schmerzlindernde Wirkung von THC bei weiblichen Ratten stärker ausgeprägt ist [6]. Allerdings benötigen weibliche Ratten im Laufe der Zeit höhere Dosen von THC als männliche Ratten, um vergleichbare Effekte zu erzielen.
  • Psychologische und emotionale Reaktionen: Frauen und Männer können unterschiedliche psychologische und emotionale Reaktionen auf Cannabis erleben. Einige Studien legen nahe, dass Frauen empfindlicher auf die angstlösenden Eigenschaften von Cannabis reagieren können, während Männer eher die euphorischen oder stimulierenden Effekte bemerken [1]. Zudem wirkt Cannabis bei Männern stärker appetitanregend [1] und schmerzlindernd [8].
  • Empfindlichkeit gegenüber Nebenwirkungen: Frauen könnten auch empfindlicher gegenüber bestimmten Nebenwirkungen von Cannabis sein, wie z.B. Übelkeit [10], Angstzuständen, Paranoia oder Gedächtnisstörungen [7]. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Frauen eine niedrigere Toleranzschwelle für bestimmte psychoaktive Substanzen zeigen [1].
  • Langzeitige Auswirkungen: Untersuchungen deuten darauf hin, dass langfristiger Cannabisgebrauch bei Frauen zu stärkeren kognitiven Beeinträchtigungen führen kann als bei Männern, insbesondere in Bereichen wie Gedächtnis [9] und Aufmerksamkeit [1].

Der Einsatz von Cannabis zur Behandlung von Menstruationsbeschwerden ist nicht neu: In verschiedenen Kulturen wurde Cannabis verwendet, um Menstruation-bedingte Beschwerden zu lindern. Es gibt historische Berichte, die behaupten, dass sogar Königin Victoria eine Cannabistinktur nutzte, um ihre eigenen Symptome des PMS zu behandeln [1]. In einer Umfrage der University of British Columbia gaben 85 % der 192 befragten Frauen an, Cannabis für die Linderung ihrer Menstruationsschmerzen verwendet zu haben [2]. Etwa 90% von ihnen berichteten von einer positiven subjektiven Wirkung.

Aktuell gibt es noch keine Studien, die die Wirksamkeit von Cannabinoiden an Patientinnen belegen. Es ist aber bereits bekannt, dass Endocannabinoide schmerzlindernd und krampflösend wirken können. Daher liegt eine Symptomlinderung auch zur Behandlung von Kopfschmerzen und Menstruationskrämpfen nahe. Ebenso könnte Cannabis zur Linderung von Stimmungsschwankungen eingesetzt werden. Aufgrund der Aktivierung des CB1-Rezeptors und der darauffolgenden Dopaminausschüttung, kann es zu positiven Auswirkungen auf die Stimmung kommen. Abgesehen von den Cannabinoiden können auch andere Bestandteile des Cannabis Einfluss auf die Stimmung haben. Laufende Studien untersuchen β-Pinen, ein Terpen, das bestimmten Sorten einen erfrischenden Pinienduft verleiht, sowie Linalool, das für den Lavendel-Duft bekannte Terpen, auf ihr Potenzial als Antidepressiva [3].

Fazit

Die Untersuchung geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Wirkung von Cannabis bei Männern und Frauen hat eine wachsende Aufmerksamkeit in der medizinischen Forschung erhalten. Die Erkenntnisse legen nahe, dass biologische, pharmakokinetische und soziale Faktoren eine Rolle spielen und dazu beitragen können, wie Cannabis von verschiedenen Geschlechtern wahrgenommen und verarbeitet wird. Es ist entscheidend, diese Unterschiede zu verstehen, um personalisierte Behandlungsansätze zu entwickeln und die Gesundheitsversorgung zu optimieren. Weitere Forschung ist erforderlich, um die Mechanismen hinter den geschlechtsspezifischen Reaktionen auf Cannabis vollständig zu verstehen und sicherzustellen, dass Patientinnen und Patienten aller Geschlechter gleichermaßen von den therapeutischen Vorteilen profitieren können.

Quellen:

[1] Fattore L, Fratta W. How important are sex differences in cannabinoid action? Br J Pharmacol. 2010 Jun;160(3):544-8.
[2] Calakos, K. C., Bhatt, S., Foster, D. W., & Cosgrove, K. P. (2017). Mechanisms Underlying Sex Differences in Cannabis Use. Current addiction reports, 4(4), 439–453.
[3] Matheson, J., Sproule, B., Di Ciano, P., Fares, A., Le Foll, B., Mann, R. E., & Brands, B. (2020). Sex differences in the acute effects of smoked cannabis: evidence from a human laboratory study of young adults. Psychopharmacology, 237(2), 305–316.
[4] Raux, P. L., & Vallée, M. (2023). Cross-talk between neurosteroid and endocannabinoid systems in cannabis addiction. Journal of neuroendocrinology, 35(2), e13191.
[5] Struik, D., Sanna, F., & Fattore, L. (2018). The Modulating Role of Sex and Anabolic-Androgenic Steroid Hormones in Cannabinoid Sensitivity. Frontiers in behavioral neuroscience, 12, 249.
[6] Morgan, M. M., Stickney, J. D., & Wilson-Poe, A. R. (2023). Low-Dose Δ9-THC Produces Antinociception in Female, But Not Male Rats. Cannabis and cannabinoid research, 8(4), 603–607. 
Autor: Dr. Nadine Herwig
Dr. Nadine Herwig - Leiterin Grünhorn Academy
Dr. Nadine Herwig studierte von 2006 bis 2010 Angewandte Naturwissenschaften an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. Ihre Promotion führte sie am Helmholtz-Zentrum in Dresden-Rossendorf am Institut für Radiopharmazie durch. Zu ihren bislang publizierten wissenschaftlichen Arbeiten gehören u. a. Originalartikel auf dem Gebiet der Hautkrebsforschung und der Biomarker.