Cannabis als Medizin: Kostenübernahme durch die Krankenkasse (GKV) - aktueller Stand 2025
Aktualisiert am 26.11.2025
Key Facts
- Patient:innen mit schwerwiegenden Erkrankungen haben einen gesetzlichen Anspruch auf Kostenübernahme von medizinischem Cannabis (§ 31 Abs. 6 SGB V).
- Die GKV lehnt trotz Gesetzeslage rund ein Drittel aller Anträge ab – meist wegen unvollständiger Begründungen oder fehlender Studiennachweise.
- Für eine Bewilligung müssen leitliniengerechte Standardtherapien ausgeschöpft oder aufgrund von Nebenwirkungen/Unverträglichkeiten nicht zumutbar sein.
- Fachärztliche Verordnung soll durch den neuen G-BA-Beschluss künftig ohne Genehmigungsvorbehalt auskommen – für schnelleren Zugang zur Cannabistherapie.
- Die besten Übernahmechancen bestehen bei chronischen Schmerzen, Spastiken, Epilepsie, therapieresistenten Schlaf- und Angststörungen sowie Chemotherapie-induzierter Übelkeit.
Arbeitshilfen zum Download
Checkliste
Patientenantrag Kostenübernahme
Arztfragebogen Kostenübernahme
Beschreibbarer Arztfragebogen
Medizinisches Cannabis ist seit mehreren Jahren ein vielversprechendes Arzneimittel – doch trotz gesetzlichem Anspruch bleibt die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) für viele Patient:innen eine Herausforderung. Dieser aktualisierte Leitfaden zeigt, welche Voraussetzungen gelten, wie der Antrag funktioniert, welche Neuerungen relevant sind und wie die Chancen auf Bewilligung erhöht werden können.
Aktuelle Lage: Was bedeutet Kostenübernahme durch die GKV?
Seit der gesetzlichen Öffnung von Cannabis als Medizin (2017) können Patient:innen bei schweren Erkrankungen eine vollständige Kostenübernahme der Therapieform beantragen – egal ob Cannabisblüten, Extrakte, Kapseln oder Dronabinol.
Wichtig für die Cannabis-Therapie 2025
- Die GKV prüft weiterhin streng, obwohl laut Gesetz nur „in begründeten Einzelfällen“ abgelehnt werden darf.
- Nach aktuellen Auswertungen liegt die Ablehnungsquote der Kassen noch immer bei rund 30–35% – trotz klarer gesetzlicher Vorgaben.
- Die Antragsprozesse wurden durch digitale Einreichungsmöglichkeiten vereinfacht, aber nicht beschleunigt.
Eine Kostenübernahme muss vor der ersten Verordnung beantragt und genehmigt werden. Alternativ bleibt die Möglichkeit der Selbstzahler-Therapie, die inzwischen von vielen Patient:innen als Übergangslösung genutzt wird. In diesem Fall übernehmen Versicherte die Kosten für ihre Cannabismedikamente zunächst selbst und beantragen erst im späteren Verlauf ihrer Cannabistherapie die Kostenübernahme.
Voraussetzungen: Wann übernimmt die Krankenkasse medizinisches Cannabis?
Die gesetzlichen Kriterien sind in § 31 Abs. 6 SGB V festgelegt. Für eine Kostenübernahme müssen folgende Punkte erfüllt sein:
1. Die Erkrankung muss schwerwiegend sein.
Der Gesetzgeber macht bewusst keine genaue Erkrankungsliste auf. Als „schwerwiegend“ gelten Erkrankungen, die:
- lebensbedrohlich sind oder
- die Lebensqualität dauerhaft erheblich beeinträchtigen.
2. Es darf keine zufriedenstellende Therapiealternative geben.
Das bedeutet:
- Standardtherapien wurden bereits durchgeführt oder
- sie sind aufgrund von Nebenwirkungen, Kontraindikationen oder fehlender Wirksamkeit nicht zumutbar.
In den Arzneimittel-Richtlinien steht, dass eine allgemein anerkannte dem medizinischen Standard entsprechende Therapie nicht zur Verfügung steht; bedeutet, die Behandlung nach existierenden Leitlinien hat bereits stattgefunden und es ist keine ausreichende Linderung der Symptome eingetreten.
„Für viele Patientinnen und Patienten ist medizinisches Cannabis keine letzte Option, sondern ein notwendiger Schritt, wenn etablierte Therapien versagen. Entscheidend ist, dass wir fundiert begründen, warum Cannabis im individuellen Fall einen echten therapeutischen Mehrwert bietet.“
Nadine Herwig, Leiterin der Grünhorn Academy
Am Beispiel zusammengefasst bedeutet das:
Eine Patientin mit chronischen Rückenschmerzen hat über Jahre verschiedene Schmerzmittel (klassische wie Ibuprofen, Diclofenac und auch stärkere wie Opiate), Antidepressiva und Antikonvulsiva zur Schmerzmodulation, Physiotherapie und eine multimodale Schmerztherapie durchlaufen. Entweder haben die Maßnahmen nicht geholfen oder sie führten zu starken Nebenwirkungen. Damit gelten die Standardtherapien als ausgeschöpft – und medizinisches Cannabis kann als sinnvolle Option in Betracht kommen.
3. Es muss eine realistische Aussicht auf Verbesserung bestehen.
Die behandelnde Fachärztin / der Arzt muss darlegen, dass Cannabis:
- Symptome lindern kann oder
- den Krankheitsverlauf positiv beeinflusst.
In der Richtlinie wird dies als "nicht ganz entfernt liegende Aussicht" auf Besserung beschrieben. Dies kann entweder in Form von Literaturbelegen (Studien) oder anhand von Erfahrungen im Rahmen der Selbstzahler-Therapie dargelegt werden.
Praxis - Cannabis auf Rezept im Jahr 2025
Krankenkassen bevorzugen in der Regel:
- standardisierte THC-/CBD-Extrakte in Form von Tropfen oder Sprays
- Dronabinol
Bei anderen Cannabisarzneimitteln z. B. in Form von getrockneten Blüten fällt die Entscheidung oft strenger aus – hier ist eine besonders gute Begründung nötig. Nichtsdestotrotz hat besonders die Inhalation aufgrund des schnellen Wirkeintritts und der Vielfalt an Wirkstoffen aus der Cannabispflanze (im Gegensatz zum Extrakt) eine hohe therapeutische Relevanz.
Grünhorn Academy Podcast
#34 Migräne verstehen: Karinas Cannabis-Therapie und ihr Engagement im Social Club
Neuerung 2024/2025: G-BA-Beschluss zum Wegfall des Genehmigungsvorbehalts
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte bereits 2024 eine zentrale Änderung für die Verordnung von medizinischem Cannabis auf den Weg gebracht: Der Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen soll für bestimmte Ärzt:innen entfallen.
Was bedeutet das konkret?
Die Kostenübernahme muss in besonderen Fällen nicht mehr vorab von der GKV geprüft werden, wenn die Verordnung durch:
- Fachärzt:innen, darunter Allgemeinmedizin, Neurologie, Innere Medizin
- Fachärzt:innen mit speziellen Zusatzbezeichnungen, u.a. Palliativmedizin
erfolgt.
Diese Änderung entsprach dem Wunsch vieler Fachgesellschaften, die den bisherigen Genehmigungsprozess als unnötig bürokratisch, langsam und hinderlich für die Versorgung kritisiert hatten.
Voraussichtliche Auswirkungen
- Schnellere Versorgung ohne Wochen lange Wartephasen
- Weniger Ablehnungen formaler Natur
- Bessere medizinische Steuerung durch speziell qualifizierte Fachärzt:innen
- Entlastung des Medizinischer Dienstes
Nichtsdestotrotz blieben gewissen Unsicherheiten bestehen. So können verschreibende Ärzt:innen nach wie vor eine freiwillige Genehmigung beantragen, falls Zweifel bezüglich der Verschreibung bestehen, um die Sicherheit der Patient:innen zu gewährleisten. Insbesondere die Angst vor Regressen hat dazu geführt, dass nur wenige Fachärzt:innen bisher medizinisches Cannabis direkt zu Lasten der GKV verordnet haben.
Ablauf der Kostenübernahme – Schritt für Schritt
1. Antrag gemeinsam mit der Ärztin/dem Arzt ausfüllen
Empfehlung: so ausführlich wie möglich. Häufige Fehler passieren durch unvollständige Angaben oder fehlende medizinische Begründungen. Neben dem Antrag des Facharztes empfiehlt es sich, eine persönliche Stellungnahme des Patienten bzw. der Patientin beizulegen. Eine detaillierte Darstellung des Krankheitsverlaufs mit dem Schwerpunkt auf Lebensqualität, soziale Teilhabe, Alltagsbewältigung und Arbeitsfähigkeit ist dabei ebenso hilfreich wie die Einschätzung des Arztes.
2. MDK-Prüfung (heute: MD, Medizinischer Dienst)
Der MD wird in den meisten Fällen beteiligt. Dabei kann die Krankenkasse Zusatzinformationen anfordern – etwa zu:
- bisherigen Therapien
- erwarteter Wirksamkeit
- geplanten Dosierungen
- der medizinischen Begründung
3. Fristen
- 3 Wochen ohne MD
- 5 Wochen mit MD
- 3 Tage bei Patient:innen mit Palliativversorgung (§ 37b SGB V)
Werden Fristen ohne triftigen Grund überschritten, gilt der Antrag als genehmigt (Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V) – ein Punkt, den viele Patient:innen gar nicht kennen.
4. Entscheidung & Folgeanträge - Cannabis auf Rezept
- Bei Dosisänderungen oder Sortenwechsel: kein neuer Antrag nötig
- Bei Wechsel der Cannabisarzneimittel (z. B. von Cannabisextrakt zu Cannabisblüten): neuer Antrag erforderlich
5. Ablehnung – was jetzt?
Wichtig: Innerhalb von 4 Wochen Widerspruch einlegen. Der Widerspruch wird nochmals geprüft und kann oft mit einer besseren Begründung erfolgreich sein.
Bei finaler Ablehnung bleibt der Weg:
- Klage vor dem Sozialgericht
- Einstweilige Anordnung bei medizinischer Dringlichkeit
Diese Verfahren dauern jedoch oft mehrere Monate.
Welche Indikationen werden häufig genehmigt?
Auch 2025 gibt es keine offizielle Indikationsliste. Aus der Versorgungspraxis ergeben sich jedoch Erkrankungen, bei denen die Übernahme besonders häufig bewilligt wird:
Hohe Erfolgsaussichten bei der Genehmigung der Krankenkasse
- Chronische Schmerzen (z. B. neuropathische Schmerzen, Tumorschmerzen, Fibromyalgie)
- Spastiken, z. B. bei Multipler Sklerose
- Epilepsie
- Appetitlosigkeit & Kachexie (HIV/AIDS, Tumorerkrankungen)
- Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie
- Schlafstörungen, wenn therapieresistent
- Angststörungen, wenn andere Therapien erfolglos waren
- ADHS, insbesondere im Erwachsenenalter
- Tourette-Syndrom
Aktuell (2024/2025) gibt es zudem neue vielversprechende Daten zu:
- posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS)
- chronischen Entzündungsschmerzen
- Migräne – hier wächst die Evidenzbasis deutlich
Warum lehnen Krankenkassen so häufig ab?
Die drei Hauptgründe:
- unzureichende medizinische Begründung
- fehlender Nachweis bisheriger Therapieversuche
- zu wenig Bezug zur aktuellen Studienlage
- formale Fehler im Antrag
Tipps für einen erfolgreichen Antrag auf Kostenübernahme
✔ Antrag immer zusammen mit einer erfahrenen Ärztin/einem fachkundigen Arzt ausfüllen
✔ alle bisherigen Therapien vollständig dokumentieren
✔ klar begründen, warum Standardtherapien nicht möglich oder erfolglos sind
✔ gute Studien beilegen (besonders wichtig!)
✔ MDK-Fragebogen vollständig ausfüllen
✔ Symptomverlauf und Leidensdruck glaubhaft darstellen
Fazit
Patient:innen mit schwerwiegenden Erkrankungen haben einen gesetzlich verankerten Anspruch auf Kostenübernahme von medizinischem Cannabis. Der Prozess ist oft anspruchsvoll, aber mit einer starken medizinischen Begründung, vollständigen Unterlagen und Kenntnis der Rechte steigen die Chancen auf eine Bewilligung deutlich.
Bei Ablehnung ist ein Widerspruch innerhalb von vier Wochen zwingend. In dringenden Fällen kann sogar das Sozialgericht eine einstweilige Anordnung auf Kostenübernahme erlassen.
Unterstützung durch die Grünhorn-Expert:innen
Unsere Cannabis-Expert:innen begleiten Patient:innen durch den gesamten Prozess – von der Therapieplanung bis zur Antragstellung.
Hast du Fragen zur Medikation, zu Indikationen oder zum Ablauf der Kostenübernahme? Schreibe uns über unser Kontaktformular oder buche ein pharmazeutisches Beratungsgespräch.