Cannabis und Blutdruck - Was sagt die Forschung zum Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System?

Key Facts:
- THC kann kurzfristig den Puls, den Blutdruck und die Spannung in den Blutgefäßen erhöhen – unabhängig davon, ob es geraucht oder verdampft wird. Für Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann das eine Rolle spielen.
- Im Gegensatz zu THC beeinflusste CBD weder Kreislauf noch Puls oder Gefäßfunktion – ein Hinweis auf deutlich geringere Auswirkungen auf das Herz und den Kreislauf.
- Die Langzeitwirkungen von Cannabis auf Blutdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind noch unzureichend erforscht – insbesondere bei chronischem Konsum, älteren Menschen und Patient:innen mit Vorerkrankungen.
Die medizinische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Cannabis hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Dabei stellen sich Patient:innen, Angehörige und medizinisch Interessierte immer häufiger Fragen zum möglichen Einfluss von Cannabis auf Herz und Kreislauf. Besonders in Bezug auf Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen oder Kreislaufprobleme nach Cannabiskonsum bestehen Unsicherheiten.
Eine aktuelle Studie von Cheung et al. (2024) liefert neue Erkenntnisse über die akuten Effekte von Cannabis auf Blutdruck, Herzfrequenz und Gefäßfunktion. Dieser Beitrag fasst die wichtigsten Erkenntnisse der Studie zusammen und zeigt, welche Auswirkungen Cannabis auf Herz und Kreislauf haben kann.
Wie wirkt Cannabis auf den Körper? Das Endocannabinoid-System kurz erklärt
Cannabis enthält verschiedene Cannabinoide, insbesondere THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol). THC wirkt psychoaktiv, während CBD keine berauschende Wirkung entfaltet. Beide Substanzen interagieren mit dem Endocannabinoid-System, das unter anderem Herzfrequenz, Gefäßspannung und Blutdruckregulation beeinflusst.
- THC aktiviert u. a. den Cannabinoid-Rezeptor Typ 1, der im Herz-Kreislauf-System vorkommt.
- CBD interagiert auf andere Weise mit physiologischen Prozessen, ohne den Blutdruck unmittelbar zu beeinflussen.
Wie genau Cannabis Herz und Kreislauf beeinflusst, ist allerdings noch nicht abschließend erforscht – das gilt sowohl für medizinische Anwendungen als auch für den Freizeitkonsum.
Was wurde in der Studie untersucht?
Die im Journal of the American Heart Association veröffentlichte Studie untersuchte bei 22 gesunden, jungen Erwachsenen die kurzfristigen Effekte von inhalativem Cannabis auf:
- Blutdruck – sowohl der obere (systolische) als auch der untere (diastolische) Wert sowie ein Durchschnittswert (mittlerer arterieller Druck)
- Herzfrequenz – also wie schnell das Herz schlägt (Puls)
- Steifigkeit der Blutgefäße – ermittelt über die Geschwindigkeit, mit der sich der Puls in den Arterien fortbewegt
- Funktion der Gefäßinnenwände (Endothelfunktion) – also wie gut sich die Gefäße erweitern und auf Durchblutung reagieren
- Leistungsfähigkeit des Herzens – gemessen mit einem Herzultraschall (Echokardiographie)
Unterschieden wurden drei Szenarien:
- S-THC: THC-dominantes Cannabis, geraucht
- V-THC: THC-dominantes Cannabis, verdampft
- V-CBD: CBD-dominantes Cannabis, verdampft
Ziel war es, den Einfluss von Cannabinoidtyp (THC vs. CBD) und Inhalationsmethode auf das kardiovaskuläre System zu bewerten.
Ergebnisse im Überblick
THC führt zu akuten Kreislaufveränderungen
Nach dem Inhalieren von THC-haltigem Cannabis kam es bei den Teilnehmer:innen zu:
- einem signifikanten Anstieg der Herzfrequenz um etwa 16–17 Schläge pro Minute
- einem Anstieg des mittleren arteriellen Blutdrucks (MAP) um etwa 5–7 mmHg
- einer Zunahme der arteriellen Steifigkeit (erhöhte Pulswellen-Geschwindigkeit)
Diese Veränderungen traten unabhängig von der Inhalationsmethode (Rauchen oder Verdampfen) auf.
Auswirkungen von CBD: keine vergleichbaren Effekte
Nach dem Konsum von CBD-dominantem Cannabis waren keine signifikanten Veränderungen in Herzfrequenz, Blutdruck oder Gefäßsteifigkeit messbar.
Endothelfunktion blieb stabil
Weder THC noch CBD hatten in der Studie eine direkte Auswirkung darauf, wie flexibel die Blutgefäße reagieren konnten. Das Ergebnis bezieht sich allerdings nur auf kurzfristige Effekte bei gesunden Testpersonen.
Was bedeutet das für das Herz-Kreislauf-System?
Die Studie zeigt, dass THC-haltiges Cannabis bei gesunden Menschen kurzfristig zu kardiovaskulären Veränderungen führen kann. Dies betrifft vor allem:
- erhöhten Puls
- steigenden Blutdruck
- erhöhte Gefäßsteifigkeit
Diese Effekte können aus klinischer Sicht relevant sein, vor allem bei Personen mit bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen, z. B.:
- Bluthochdruck (Hypertonie)
- Herzrhythmusstörungen
- Koronarer Herzkrankheit
- Zustand nach Herzinfarkt
Der Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Kreislaufkollaps, wie er gelegentlich berichtet wird, könnte mit diesen physiologischen Effekten zusammenhängen – ebenso wie das häufig genannte Symptom Herzrasen nach dem Joint.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Relevanz im Kontext von Cannabis
Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen weltweit zu den häufigsten chronischen Erkrankungen und sind nach wie vor die führende Todesursache. Zu den wichtigsten Risikofaktoren gehören Bluthochdruck, Arteriosklerose, Herzrhythmusstörungen und Koronare Herzkrankheit. Diese Erkrankungen gehen oft mit Veränderungen der Gefäßstruktur und einer erhöhten arteriellen Steifigkeit einher – genau jene physiologischen Parameter, die laut der Studie nach THC-Konsum ebenfalls betroffen sein können.
Besonders problematisch ist, dass sich viele Herz-Kreislauf-Erkrankungen zunächst symptomlos entwickeln. Eine regelmäßige Belastung des kardiovaskulären Systems, etwa durch starkes Herzrasen, erhöhte Pulswellen-Geschwindigkeit oder temporären Blutdruckanstieg nach dem Cannabiskonsum, könnte bei bestimmten Personen das Risiko für klinische Ereignisse wie Herzinfarkt oder Schlaganfall erhöhen.
Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, dass Menschen mit bekannter Herz-Kreislauf-Erkrankung – ebenso wie Personen mit familiärer Vorbelastung – den Cannabiskonsum mit ärztlichem Fachpersonal abklären. Auch bei medikamentöser Behandlung von Bluthochdruck sollte geklärt werden, ob Wechselwirkungen mit Cannabinoiden auftreten könnten.
Ob Cannabis bei Bluthochdruck eine Rolle spielen kann – sei es im positiven oder negativen Sinne – lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschließend beurteilen. Klar ist jedoch: Eine fundierte Bewertung ist nur unter Berücksichtigung individueller gesundheitlicher Faktoren möglich.
Cannabis und Blutdruck: Was bleibt unklar und wo besteht Forschungsbedarf?
Trotz der aussagekräftigen Ergebnisse bleiben viele Fragen offen:
- Wie reagieren ältere Personen, Patient:innen mit Vorerkrankungen oder Menschen mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko?
- Welche Langzeitfolgen ergeben sich bei regelmäßigem THC-Konsum in Bezug auf Bluthochdruck, Herzstruktur oder Gefäßveränderungen?
- Wie verändert sich das kardiovaskuläre Profil beim Cannabis-Entzug?
Außerdem ist bislang unklar, ob CBD langfristig eine neutralere oder potenziell schützende Rolle einnimmt. Aussagen zu einer möglichen blutdrucksenkenden Wirkung von Cannabis lassen sich aus den vorliegenden Daten nicht ableiten.
Fazit: Was sollten Cannabis-Konsument:innen wissen?
Basierend auf aktuellen Daten gilt:
- THC kann kurzfristig den Blutdruck erhöhen, die Herzfrequenz steigern und die Gefäße versteifen.
- Die Inhalationsmethode (Rauchen oder Verdampfen) spielt dabei keine Rolle.
- CBD scheint nicht mit akuten Kreislaufeffekten verbunden zu sein.
- Für Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen ist Vorsicht geboten.
- Es gibt derzeit keine ausreichende Evidenz, dass Cannabis den Blutdruck dauerhaft senkt oder eine therapeutische Wirkung bei Hypertonie hat.
Die Anwendung von Cannabis – sei es zu medizinischen oder anderen Zwecken – sollte stets unter Berücksichtigung der individuellen gesundheitlichen Situation und in Rücksprache mit medizinischem Fachpersonal erfolgen.
Disclaimer: Dieser Beitrag dient der wissenschaftlichen Information. Er stellt keine therapeutischen Empfehlungen dar und ersetzt nicht die individuelle Beratung durch medizinisches Fachpersonal.
Studie:
Cheung, C. P., Coates, A. M., Baker, R. E., & Burr, J. F. (2024). Acute effects of cannabis inhalation on arterial stiffness, vascular endothelial function, and cardiac function. Journal of the American Heart Association, 13(11), e037731. https://doi.org/10.1161/JAHA.124.037731.
