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Medizinisches Cannabis bei neuropathischen Schmerzen: Eine echte Option?

Key Facts:

  • Neuropathische Schmerzen entstehen durch eine Schädigung oder Fehlfunktion der Nerven – nicht durch äußere Reize oder Entzündungen.
  • Klassische Schmerzmittel wirken bei neuropathischen Schmerzen meist gar nicht oder unzureichend.
  • Es reguliert Schmerz- und Entzündungsprozesse. Bei Nervenschäden ist das Endocannabinoidsystem häufig gestört oder unteraktiv. Medizinisches Cannabis aktiviert das ECS, kann dadurch Schmerzsignale hemmen und entspannend wirken.
  • Klinische Studien belegen: THC kann Schmerzen schnell und signifikant senken – auch in sehr niedriger Dosis.
  • Medizinisches Cannabis ist kein Wundermittel, aber eine vielversprechende Zusatzoption, vor allem bei neuropathischen Schmerzen, die durch andere Medikament nicht ausreichend gelindert werden können.

Anders als normale Schmerzen, die durch eine Verletzung oder Entzündung entstehen, gehen neuropathische Schmerzen auf eine Störung der Nerven selbst zurück. Das bedeutet: Das Nervensystem sendet Schmerzsignale, obwohl keine akute Verletzung (mehr) vorhanden ist. Normalerweise leiten Nervenzellen Reize (z.B. Berührung, Hitze, Druck) an das Gehirn weiter, das diese als Schmerz wahrnehmen kann, wenn sie gefährlich sind.

Bei neuropathischen Schmerzen aber sind die Nerven selbst verletzt oder überaktiv – das bedeutet:

  • Die Schmerzsignale kommen ohne echten Auslöser
  • Oder sie sind übersteigert, weil der Nerv überempfindlich geworden ist
  • Teilweise senden Nerven ständig „Schmerzmeldungen“, obwohl keine Gefahr besteht

Typische Ursachen sind bspw. Nervenschäden durch Diabetes, Bandscheibenvorfälle oder Wirbelsäulenverletzungen, Gürtelrose, Multiple Sklerose, Nervenschäden nach Operationen/Amputationen.

Die genauen Zahlen schwanken – aber Studien und Schätzungen zeigen: Etwa 7–10 % der Bevölkerung in Europa leiden an chronischen neuropathischen Schmerzen [1]. In Deutschland betrifft das über 5 Millionen Menschen.

Neuropathische Schmerzen fühlen sich oft anders an als normale Schmerzen. Häufig werden sie als brennend, stechend oder elektrisch beschrieben; als Kribbeln, wie Ameisenlaufen, Taubheitsgefühle oder Überempfindlichkeit bei Berührung.

Häufig treten die Schmerzen ohne erkennbare Ursache vor allem nachts oder in Ruhe auf, wodurch sie das tägliche Leben erheblich beeinträchtigen – körperlich wie psychisch.

Neuropathische Schmerzen gelten als schwer behandelbar – viele gängige Schmerzmittel wirken kaum oder nur unzureichend. Deshalb wird intensiv nach ergänzenden Optionen wie medizinischem Cannabis geforscht.


Rolle des Endocannabinoidsystems (ECS)

Das Endocannabinoidsystem (ECS) spielt eine zentrale Rolle bei der Regulation von Schmerzen – insbesondere auch bei neuropathischen Schmerzen. Es ist gewissermaßen ein „körpereigenes Gleichgewichtssystem“, das dafür sorgt, dass Signale wie Schmerz, Stress, Entzündung oder Appetit nicht aus dem Ruder laufen.

Das ECS besteht aus drei Hauptbestandteilen: den Cannabinoid-Rezeptoren (CB1 und CB2), den Endocannabinoide (Anandamid und 2-AG) und den zugehörigen Enzymen, die diese Stoffe auf- und abbauen.

Bei Nervenschäden wird das ECS besonders aktiv, weil es versucht, die Übererregbarkeit von Nervenzellen herunterzufahren. Dabei zeigt sich:

  • CB1-Rezeptoren im Zentralnervensystem können die Schmerzsignalübertragung hemmen
  • CB2-Rezeptoren im Immunsystem können entzündliche Prozesse in Nerven eindämmen
  • Es gibt Hinweise, dass Menschen mit chronischen Schmerzen ein gestörtes oder unteraktives ECS haben

THC wirkt über CB1- und CB2-Rezeptoren, beeinflusst Schmerz- und Stresszentren im Gehirn. CBD wirkt entzündungshemmend, beeinflusst die Nervenrezeptoren und reduziert Schmerzempfinden. Bildgebende Studien zeigten eine veränderte Hirnaktivität in dem Bereich, der mit reduzierter Schmerzwahrnehmung in Verbindung steht.

Medizinisches Cannabis besitzt das Potenzial, das aus dem Gleichgewicht geratene System zu. Beeinflussen. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin und andere Fachgesellschaften [1] sehen in Cannabis einen ergänzenden Therapieansatz – nicht als „Wundermittel“, aber als Option bei Therapieversagen.


Aktuelle klinische Studien zum Einsatz von Cannabis bei neuropathischen Schmerzen

Die wissenschaftliche Lage ist vielversprechend – aber noch nicht abschließend. Einige Studien zeigen, dass ein Teil der Patient:innen mit neuropathischen Schmerzen von medizinischem Cannabis profitiert – vor allem, wenn andere Therapien (z.B. Antidepressiva, Antikonvulsiva, Opioide) nicht ausreichend helfen.

In einer aktuellen Übersichtsarbeit wurden 11 randomisierte kontrollierte Studien zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen aus den Jahren 2014 bis 2024 ausgewertet [2]. Die Autoren kommen zu dem Fazit, dass Medizinalcannabis neuropathische Schmerzen reduzieren, die Schlafqualität verbessern und die Lebensqualität steigern kann. Zudem scheint die Kombination von THC und CBD wirksamer zu sein und kann psychoaktive Nebenwirkungen von THC abmildern. Die Wirkung variiert je nach Verabreichungsform (z. B. oral, inhalativ). Inhalative Darreichungen zeigen schneller einsetzende Effekte. Es gibt erste Hinweise auf eine dosisabhängige Wirkung und potenzielle Einsparung anderer Schmerzmittel, insbesondere bei Patienten, die mit ihrer bisherigen Medikation keine ausreichende Schmerzlinderung erreichen konnten.

Eine retrospektive Beobachtungsstudie untersuchte die Wirksamkeit und Verträglichkeit von medizinischem Cannabis bei 99 Patient:innen mit chronischen neuropathischen Schmerzen [3]. Alle Patient:innen inhalierten medizinische Cannabisblüten (THC-Gehalt 12–22 %) per Vaporizer, meist 0,15–1 g/Tag. Der mittlere Schmerzscore sank von 7,5 auf 3,75 nach 6 Wochen; der Anteil schwerer Schmerzen fiel von 96 % auf 15 %. Gleichzeitig zeigte sich eine Schlafverbesserung. Es traten keine schwerwiegenden Nebenwirkungen auf; nur milde Effekte wie trockene Schleimhäute (5 %), Müdigkeit (5 %) und gesteigerter Appetit (3 %). Somit zeigt auch diese Studie, dass inhalatives medizinisches Cannabis bei chronischen neuropathischen Schmerzen schnell, deutlich und nachhaltig wirken kann – bei guter Verträglichkeit und geringem Risiko für Nebenwirkungen.

In einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrolliert Studie wurde anhand von 27 erwachsenen Patient:innen mit chronischem neuropathischem Schmerz die Wirksamkeit von inhalativem THC untersucht [4]. Bereits sehr geringe THC-Dosen (0,5 bzw. 1 mg) reduzierten die Schmerzen signifikant im Vergleich zu Placebo bei gleichzeitig geringem Nebenwirkungsprofil.


Fazit

Medizinisches Cannabis kann helfen, wenn andere Behandlungen bei Nervenschmerzen nicht ausreichend wirken. Dann sind Cannabinoide eine vielversprechende, natürliche Ergänzung zur Schmerztherapie – besonders bei chronischen, neuropathischen Schmerzen. Forschende fordern daher größere, langfristige Studien, um die Wirksamkeit, Sicherheit und optimale Dosierungen besser zu bestimmen.



Quellen:

[1] Petzke F, Tölle T, Fitzcharles MA, Häuser W. Cannabis-Based Medicines and Medical Cannabis for Chronic Neuropathic Pain. CNS Drugs. 2022 Jan;36(1):31-44.
[2] Khan MG, Hussain SHA, Alkhayl FFA, Ahsan M, Ridha-Salman H. Cannabinoids in neuropathic pain treatment: pharmacological insights and clinical outcomes from recent trials. Naunyn Schmiedebergs Arch Pharmacol. 2025 Apr 22.
[3] Kluwe L, Scholze C, Schmidberg LM, Wichmann JL, Gemkov M, Keller MJ, Farschtschi SC. Medical Cannabis Alleviates Chronic Neuropathic Pain Effectively and Sustainably without Severe Adverse Effect: A Retrospective Study on 99 Cases. Med Cannabis Cannabinoids. 2023 Aug 17;6(1):89-96.
[4] Almog S, Aharon-Peretz J, Vulfsons S, Ogintz M, Abalia H, Lupo T, Hayon Y, Eisenberg E. The pharmacokinetics, efficacy, and safety of a novel selective-dose cannabis inhaler in patients with chronic pain: A randomized, double-blinded, placebo-controlled trial. Eur J Pain. 2020 Sep;24(8):1505-1516.