Medizinisches Cannabis bei Fibromyalgie – Hoffnung für Schmerzpatient:innen?

Frau fasst sich an die schmerzende Schulter
Aktualisiert am: 29.10.2025

Key Facts

  • Fibromyalgie betrifft etwa 2-4 Prozent der Bevölkerung, verursacht chronische Schmerzen, Schlafstörungen und eine damit einhergehende Einschränkung der Lebensqualität.
  • Das Endocannabinoid-System (ECS) spielt eine wichtige Rolle bei der Schmerzregulation; Forschende vermuten beim FMS eine ECS-Unterfunktion, weshalb Cannabis als ergänzende Therapieoption diskutiert wird.
  • Studien zeigen erste positive Ergebnisse, wie etwa weniger Schmerzen, besseren Schlaf und reduzierte Medikamenteneinnahme – und das bei meist milden Nebenwirkungen, aber weiterhin begrenzter Evidenzlage.

Ständige Schmerzen am ganzen Körper, eine bleierne Müdigkeit und Schlafstörungen, die einfach nicht verschwinden wollen – das ist der oft harte Alltag für viele Menschen, die mit dem Fibromyalgiesyndrom leben. Häufig bringt die herkömmliche Schmerztherapie nicht die erhoffte Linderung, und Patient:innen suchen verzweifelt nach Behandlungsoptionen, die wirklich greifen, um ihre Lebensqualität zu verbessern. An diesem Punkt kommt medizinisches Cannabis ins Spiel. Seit der Teillegalisierung im April 2024 ist der Einsatz von Cannabis und seinen Inhaltsstoffen wie THC und CBD bei chronischen Schmerzerkrankungen präsenter denn je.

Könnte Medizinalcannabis eine wirksame Ergänzung der Therapie bei Fibromyalgie sein, um Symptomlinderung zu schaffen? Wir schauen uns in diesem Blogbeitrag an, was hinter dieser Krankheit steckt und wie die aktuelle Datenlage zu diesem spannenden Ansatz aussieht.

„Auch wenn es noch nicht viele Studien zu Cannabis bei Fibromyalgie gibt, zeigen die bisherigen Erfahrungen und aktuellen Empfehlungen, dass es für viele Betroffene hilfreich sein kann. Wir erleben gerade ein Umdenken: Cannabis wird zunehmend als fester Bestandteil der ganzheitlichen Schmerztherapie angesehen – als Ergänzung zu anderen Behandlungsformen, nicht als Ersatz.“ – Dr. Nadine Herwig, Leiterin der Grünhorn Academy


Was ist das Fibromyalgiesyndrom?

Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) ist eine chronische Schmerzerkrankung bzw. Schmerzstörung, bei der Betroffene über länger anhaltende Schmerzen in verschiedenen Körperregionen klagen. Typisch sind Muskel- und Gelenkschmerzen, oftmals begleitet von einer erhöhten Druckempfindlichkeit der Weichteile. Diese Gelenkschmerzen können bspw. die Wirbelsäule oder andere Teile des Körpers betreffen. Anders als bei klassischen entzündlichen rheumatischen Erkrankungen lassen sich bei der Fibromyalgie aber weder spezifische Gelenk- noch Muskelverletzungen klar nachweisen, und auch im Blut sind keine eindeutigen Marker aufzufinden, die eine Diagnose direkt ermöglichen könnten.

Häufigkeit und typische Symptome

In Deutschland wird geschätzt, dass etwa 2 bis 4 Prozent der Bevölkerung vom Fibromyalgiesyndrom betroffen sind.1 Die Erkrankung äußert sich unter anderem durch:

  • chronische, wechselnde Schmerzen an mehreren Körperregionen (z. B. Rücken, Arme, Beine)
  • ausgeprägte Müdigkeit oder Erschöpfung
  • Schlafstörungen, aus denen keine vollständige Erholung erfolgt
  • kognitive Beeinträchtigungen wie Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen
  • ein allgemein erhöhtes Schmerzempfinden / eine erhöhte Druckschmerzhaftigkeit der Haut oder Weichteile

Wer ist besonders betroffen?

Frauen sind deutlich häufiger vom Fibromyalgiesyndrom betroffen als Männer – nach Angaben der Rheuma-Liga Deutschland sogar etwa sechs- bis siebenmal häufiger.2 Die Erkrankung tritt typischerweise im mittleren Erwachsenenalter auf (z. B. zwischen 40 und 60 Jahren), kann aber auch in jüngeren Jahren beginnen. Ein Rheumatologe ist bei Verdacht auf FMS oft der erste Ansprechpartner.

Warum ist die Diagnose oft schwierig?

Die Diagnose des Fibromyalgiesyndroms gestaltet sich aus mehreren Gründen als Herausforderung:

  1. Es existieren keine eindeutigen Labor- oder bildgebenden Befunde, die allein die Erkrankung bestätigen können.
  2. Die Symptome sind unspezifisch, sie überschneiden sich mit anderen chronischen Erkrankungen (z. B. rheumatische Erkrankungen, neurologische Schmerzsyndrome).
  3. Häufig vergehen viele Jahre, bis eine klare Diagnose gestellt wird – teils wird von durchschnittlich über 10 Jahren gesprochen.3
  4. Wegen fehlender "objektiver" Befunde erleben viele Betroffene zudem Unverständnis oder Verzögerung bei der Betreuung und Behandlung, was die Situation zusätzlich belastet.

Leben mit Fibromyalgie – wenn Schmerz zum Alltagsbegleiter wird

Das Leben mit dem Fibromyalgiesyndrom ist oft geprägt von einem Wechselspiel aus dauerhaftem Schmerz, Erschöpfung sowie psychischer und körperlicher Belastung. Für viele der Betroffenen bedeutet das: Nicht nur einzelne Symptome sind beeinträchtigend, sondern das ganze Zusammenspiel wird zur Herausforderung – und damit auch das alltägliche Leben.

Alltagsbelastung und Auswirkungen auf Psyche und Schlaf

Betroffene berichten von Schlafstörungen, die oft schon vor oder parallel zu den Schmerzen auftreten. Häufige Beschwerden sind Einschlafprobleme, mehrmaliges Aufwachen in der Nacht oder das Gefühl, nicht erholsam zu schlafen.4 Die daraus resultierenden Folgen sind tiefgreifend: selbst nach ausreichender Zeit im Bett fühlen sich viele nicht erholt. Sie wachen müde auf, erleben eine anhaltende Erschöpfung und leiden dadurch unter Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen.

Dieser mangelnde Schlaf wirkt sich deutlich auf die Schmerzverarbeitung aus – durch reduzierte Tief- und REM-Schlafphasen steigt die Schmerzempfindlichkeit, Muskelverspannungen nehmen zu und der Körper kann sich schlechter regenerieren. Aber auch psychisch ist die Belastung spürbar: Wenn sich Schlaf- und Schmerzprobleme gegenseitig verstärken, können Stimmungsschwankungen, Ängste und depressive Verstimmungen zunehmen.

 
 

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#2 Einsatz von Cannabis bei Fibromyalgie: Sarah berichtet von ihren Erfahrungen

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Typische Herausforderungen

Im Alltag bedeuten die Fibromyalgie-Symptome oft:

  • Schwierigkeit, Routinen aufrechtzuerhalten: Einfache Dinge wie Hausarbeit, Einkäufe oder soziale Aktivitäten können sich plötzlich überfordernd anfühlen.
  • Vermehrte Müdigkeit bzw. "unsichtbare Erschöpfung": Betroffene berichten, dass sie sich trotz Ruhe kaum regeneriert fühlen.5
  • Einschränkungen im sozialen Leben: Wenn Energie fehlt oder Schmerzen dominieren, ziehen sich viele zurück oder sagen Termine ab, was eine zusätzliche psychische Belastung mit sich bringen kann.
  • Ein ständiger Kampf mit dem Teufelskreis aus Schmerz und Schlafmangel: Schlechter Schlaf erhöht das Schmerzempfinden; mehr Schmerz verschlechtert wiederum den Schlaf.

Warum herkömmliche Medikamente oft nicht ausreichen

Obwohl in der Standard-Schmerztherapie Medikamente wie Antidepressiva, Antikonvulsiva oder Schmerzmittel eingesetzt werden, zeigt sich beim FMS häufig, dass die Wirkung dieser begrenzt ist. So stellen Fachinformationen klar, dass es kein Medikament gibt, das eigens für die Behandlung von Fibromyalgie zugelassen ist.6 Auch die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Nur ein Teil der Patient:innen spricht auf die medikamentöse Therapie an.2 Zudem wird betont, dass nicht-medikamentöse Maßnahmen, wie etwa körperliches Training oder multimodale Konzepte, zentral sind.6 Das bedeutet, dass Medikamente allein in vielen Fällen nicht ausreichen, um die gesamte Belastung durch Schmerzen, Schlafprobleme und Erschöpfung wirkungsvoll zu adressieren. Ein ganzheitlicher Ansatz, der körperliche Aktivität, Schlafhygiene, psychologische Unterstützung und Selbstmanagement einschließt, ist daher Empfehlung der Leitlinien.7


Cannabis bei Fibromyalgie als mögliche Behandlungsoption

Chronische Schmerzen, wie sie beim Fibromyalgiesyndrom häufig vorkommen, stellen Betroffene und Therapeut:innen vor große Herausforderungen. Klassische Schmerzmittel helfen hier oft nur unzureichend und gehen mit unerwünschten Nebenwirkungen einher. In diesem Rahmen rückt das Thema medizinisches Cannabis zunehmend in den Fokus, weil die darin enthaltenen Cannabinoide (z. B. Tetrahydrocannabinol (THC), Cannabidiol (CBD)) auf Systeme im Körper wirken, die an Schmerzverarbeitung, Schlaf, Stimmung und Entzündung beteiligt sind.

Wie das Endocannabinoid-System bei Fibromyalgie eine Rolle spielen könnte

Das Endocannabinoid-System (ECS) ist ein körpereigenes Signalnetzwerk, das unter anderem aus den Rezeptoren CB1 und CB2, den körpereigenen Cannabinoiden (die Endocannabinoide) sowie Enzymen zu deren Aufbau und Abbau besteht. Es hilft, das Gleichgewicht (die Homöostase) in vielen körperlichen Prozessen zu bewahren.

In der Fachliteratur wird diskutiert, dass bei FMS das Endocannabinoid-System möglicherweise gestört ist, etwa durch veränderte Endocannabinoid-Spiegel oder Rezeptoraktivität, was wiederum die Schmerzverarbeitung beeinträchtigen könnte. Eine aktuelle Übersichtsarbeit stellt fest:

„Emerging research has identified the endocannabinoid system as an essential factor in modulating pain and other symptoms related to fibromyalgia.“ 8

Damit liegt der Fall nahe, dass eine Anpassung des ECS mithilfe von externen Cannabinoiden sinnvoll sein könnte, denn ein möglicher Endocannabinoid-Mangel wird in diesem Zusammenhang als Ursache für das Leiden diskutiert.

Warum Forschende Cannabis hier als spannenden Ansatz sehen

Weil das ECS bei Schmerz-, Schlaf und Stimmungsregulation eine Rolle spielt, rückt Cannabis als möglicher Ansatz in den Blick. Die Idee: Exogene Cannabinoide könnten das ECS ergänzen oder modulieren und damit Symptome lindern. Eine Review formuliert:

Preclinical research has provided some evidence … for the therapeutic potential of drugs that target the endocannabinoid system for the treatment of fibromyalgia-related symptoms. 9

Das macht Cannabis zu einem Ansatz, der über die klassische Schmerztherapie hinausgeht.

Mögliche Therapieformen: Blüten, Extrakte, Kapseln

Bei einer cannabisbasierten Therapie kommen verschiedene Anwendungsformen infrage:

  • Cannabisblüten (zum Inhalieren oder Verdampfen)
  • Extrakte / Öl mit definiertem THC-/CBD-Gehalt
  • Kapseln oder Tabletten mit standardisierten Cannabinoid-Profilen

Welche Form individuell geeignet ist, hängt von Patient:in, Symptombild, Begleiterkrankungen und ärztlicher Begleitung ab.

Darreichungsform
Kurzbeschreibung
Potenzielle Vorteile bei FMS
Wichtiger Hinweis für Patient:innen
Cannabisblüten
Getrocknete Blüten, die inhaliert (vaporisiert) werden.
Sehr schneller Wirkungseintritt, kann zur Akutbehandlung bei plötzlichen Schmerzspitzen sinnvoll sein.
Die Dosis ist weniger präzise steuerbar; benötigt einen Vaporisator; ärztliche Anleitung ist essenziell.
Cannabisextrakte (Öle)
Flüssige Tinkturen mit definiertem THC- und/oder CBD-Gehalt, werden oral eingenommen.
Präzise Dosierung möglich; längere und gleichmäßigere Wirkdauer (gut für die Nacht).
Wirkungseintritt verzögert sich (bis zu 2 Stunden); ideal für eine kontinuierliche Basiseinstellung.
Kapseln / Tabletten
Standardisierte Dosis in Kapselform, oral einzunehmen.
Besonders diskret und sehr einfache Handhabung; stets gleiche Wirkstoffmenge.
Begrenzte Verfügbarkeit am Markt; Wirkungsprofil ähnlich den Extrakten (verzögert, langanhaltend).


Wichtig zu erwähnen ist aber weiterhin: Jede Therapie mit Cannabis sollte ärztlich abgestimmt, individuell dosiert und regelmäßig überprüft werden. Dabei gilt, dass Cannabis ein Teil des Therapiekonzepts sein kann – es ersetzt aber nicht die ganzheitliche Behandlung, z. B. Bewegung, Physiotherapie, Schlafhygiene oder Psychotherapie.


Medizinischer Deep Dive

Hinweise auf eine Endocannabinoid-Unterfunktion

In den letzten Jahren hat sich in der Forschung ein spannendes Konzept etabliert: die sogenannte "Clinical Endocannabinoid Deficiency" (CECD), also eine klinisch relevante Unterfunktion des körpereigenen Endocannabinoid-Systems. Der Neurologe und Cannabisforscher Ethan Russo hat dieses Konzept erstmals Anfang der 2000er Jahre formuliert und in späteren Arbeiten weiterentwickelt. Er geht davon aus, dass ein chronisch erniedrigter Spiegel an Endocannabinoiden oder eine verminderte Rezeptorfunktion dazu führen kann, dass Schmerzsignale übermäßig stark wahrgenommen werden. In seiner Übersichtsarbeit beschreibt Russo, dass genau dieses Muster (eine Art "ECS-Mangelzustand") bei therapieresistenten Schmerz- und Reizsyndromen wie Migräne, Reizdarmsyndrom und auch Fibromyalgie auftreten könnte.10

In Liquoranalysen (Rückenmarksflüssigkeit) von Patient:innen mit Fibromyalgie wurde tatsächlich eine erniedrigte Konzentration des Endocannabinoids Anandamid (AEA) festgestellt – ein Hinweis darauf, dass das ECS bei dieser Patient:innengruppe möglicherweise unteraktiv ist. Diese Erkenntnis liefert eine biologische Erklärung dafür, warum Schmerzsignale bei Fibromyalgie übermäßig stark und dauerhaft empfunden werden. Darauf aufbauend wird vermutet, dass eine exogene Zufuhr von Cannabinoiden, also z. B. durch medizinisches Cannabis, helfen könnte, diesen Mangel auszugleichen und so das körpereigene Gleichgewicht der Schmerzverarbeitung wiederherzustellen. Diese Hypothese ist bislang nicht abschließend bewiesen, stellt aber einen vielversprechenden Erklärungsansatz für den beobachteten Nutzen von Cannabis in der Schmerztherapie dar.

Studien zu medizinischem Cannabis bei Fibromyalgie

In den vergangenen Jahren wurde medizinisches Cannabis zunehmend auch im Zusammenhang mit Fibromyalgie untersucht. Zwar unterscheiden sich die Studien in Design und Teilnehmer:innenzahl, doch ergeben sich immer wieder ähnliche Beobachtungen: Viele Patient:innen berichten von einer Verringerung ihrer Schmerzen, einer besseren Schlafqualität und einer insgesamt verbesserten Lebensqualität.

Schmerzreduktion und Lebensqualität

Eine israelische Beobachtungsstudie mit 367 Patient:innen zeigte nach sechs Monaten Therapie mit medizinischem Cannabis eine deutliche Abnahme der Schmerzintensität – der durchschnittliche Schmerzscore sank von 9,0 auf 5,0 Punkte. Gleichzeitig gaben 81 Prozent der Teilnehmenden an, dass sich ihre Symptome moderat bis deutlich verbessert hatten. Zudem konnten 22 Prozent ihre Opiat-Dosis reduzieren oder ganz absetzen. Auch bei Benzodiazepinen war bei rund einem Fünftel der Patient:innen eine Dosisreduktion möglich.11

Auch Daten aus dem UK Medical Cannabis Registry mit über 300 Fibromyalgie-Patient:innen weisen in eine ähnliche Richtung. Bereits nach einem Monat Therapie zeigten sich signifikante Verbesserungen in den Bereichen Schmerzintensität, Schlafqualität und allgemeinem Wohlbefinden. Besonders Patient:innen mit vorheriger Erfahrung im Umgang mit Cannabis berichteten von stärkeren Effekten.12

Einfluss auf Schlaf und psychische Symptome

Neben der Schmerzlinderung wurde in mehreren Studien auch eine Verbesserung der Schlafqualität dokumentiert – ein zentraler Punkt, da nicht erholsamer Schlaf zu den häufigsten Beschwerden bei Fibromyalgie zählt. In einer Beobachtungsstudie aus Italien erhielten 102 Patient:innen zusätzlich zu ihrer Standardmedikation zwei verschiedene Cannabisextrakte mit definierten THC-/CBD-Gehalten. Nach sechs Monaten berichteten 44 Prozent über eine verbesserte Schlafqualität und 33 Prozent über eine geringere funktionelle Beeinträchtigung. Auch Symptome wie Angst und depressive Verstimmungen besserten sich bei etwa der Hälfte der Teilnehmenden.13

Substitution von Schmerzmitteln durch CBD

Eine groß angelegte Online-Umfrage unter 878 Betroffenen zeigte zudem, dass viele Patient:innen CBD-Produkte als Alternative zu klassischen Schmerzmitteln nutzen. Rund 72 Prozent der Befragten gaben an, ihre bisherige Medikation (etwa Opioide oder NSAIDs) durch CBD ersetzt oder reduziert zu haben. Als Hauptgründe nannten sie weniger Nebenwirkungen und eine bessere Symptomkontrolle.14

Klinische Studie mit THC-reichem Extrakt

In einer kleinen, aber methodisch hochwertigen randomisierten, doppelblinden Studie aus Brasilien nahmen 17 Patientinnen über acht Wochen einen THC-reichen Cannabisextrakt (24,4 mg/ml THC, 0,5 mg/ml CBD) ein. Im Vergleich zur Placebogruppe zeigten sich signifikante Verbesserungen bei Schmerzen, Wohlbefinden, Arbeitsfähigkeit und Müdigkeit – und das bereits bei einer durchschnittlichen täglichen Dosis von nur etwa 4,4 mg THC.15

Zusammenfassung und Übersicht der genannten Studien

Studie
Teilnehmende
Design und Beobachtungsdauer
Wichtigstes Ergebnis zur Wirksamkeit
Israelische Kohorte [11]
367
Beobachtungsstudie, 6 Monate
Schmerzreduktion (Score sank von 9,0 auf 5,0); 81% mit symptomatischer Besserung; 22% reduzierten Opioide.
UK Medical Cannabis Registry [12]
>300
Beobachtungsstudie, ab 1 Monat
Signifikante Verbesserungen bei Schmerzintensität, Schlafqualität und allgemeinem Wohlbefinden.
Italienische Studie [13]
102Beobachtungsstudie, 6 Monate
Verbesserung der Schlafqualität bei 44% und Besserung von Angst / depressiven Verstimmungen bei ca. 50% der Teilnehmenden.
Brasilien RCT [15]
17
Randomisierte Doppelblindstudie, 8 Wochen
Signifikante Verbesserungen bei Schmerzen, Wohlbefinden und Müdigkeit unter THC-reichem Extrakt (vs. Placebo).


Nebenwirkungen und Sicherheit

Insgesamt gelten die in den Studien beobachteten Nebenwirkungen als mild und gut kontrollierbar. Am häufigsten wurden Mundtrockenheit, Schwindel oder Müdigkeit berichtet, die jedoch nur selten zu einem Therapieabbruch führten. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten nicht auf. Im Vergleich zu Opioiden weisen cannabisbasierte Medikamente zudem ein geringeres Risiko für Abhängigkeit oder Überdosierung auf.

Aktuelle Entwicklungen und neue Studien

Laut der aktuellen PraxisLeitlinie V3.0 zum Fibromyalgiesyndrom wird die Behandlung mit medizinischem Cannabis inzwischen als "sichere Alternative" bewertet – auch wenn die wissenschaftliche Evidenz weiterhin begrenzt ist.16

Auch in der Praxisleitlinie zum Einsatz von Cannabis in der Schmerzmedizin findet sich ein Hinweis auf Veränderungen im Endocannabinoid-System bei Fibromyalgie-Patient:innen. Daher wird das Syndrom dort als potenzielle Indikation für eine Cannabinoid-Verordnung aufgeführt.17

Eine britische Kohortenstudie aus dem Jahr 2024 untersuchte zudem die Wirksamkeit verschiedener cannabisbasierter Arzneimittel (Öle, getrocknete Blüten oder eine Kombination) bei 148 Patient:innen mit Fibromyalgie. Über den gesamten Behandlungsverlauf verbesserten sich signifikant Angst, Schlafqualität und andere Fibromyalgie-Symptome, unabhängig von der Darreichungsform. Etwa ein Viertel der Teilnehmenden berichtete über milde Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Kopfschmerzen oder einen trockenen Mund – insbesondere bei Cannabis-unerfahrenen Patient:innen. Die Forschenden schließen daraus, dass cannabisbasierte Arzneimittel eine vielversprechende, gut verträgliche Behandlungsoption darstellen, unabhängig davon, ob sie als Öl oder Blüten eingesetzt werden.18

Ausblick und Forschungsbedarf

Die bisherigen Erkenntnisse zeigen: Cannabisbasierte Arzneimittel können bei Fibromyalgie unterstützend wirken, insbesondere im Hinblick auf die Schmerzreduktion, die Schlafqualität und das allgemeine Wohlbefinden. Gleichzeitig betonen Forschende und Fachgesellschaften aber auch, dass die Evidenzlage bislang noch begrenzt ist – viele Studien sind klein, von kurzer Dauer oder beruhen auf Beobachtungsdaten. Um den therapeutischen Nutzen besser beurteilen zu können, braucht es künftig größere, kontrollierte und standardisierte klinische Studien, die nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch Langzeiteffekte, optimale Dosierungen und individuelle Unterschiede untersuchen. Besonders wichtig ist dabei, die verschiedenen Darreichungsformen (z. B. Blüten, Extrakte, Öle) miteinander zu vergleichen und deren Einfluss auf Symptomlinderung, Nebenwirkungen und Lebensqualität systematisch zu erfassen.

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt auf der individualisierten Schmerztherapie: Da das Endocannabinoid-System von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgeprägt ist, sprechen Patient:innen auch verschieden stark auf Cannabis an. Zukünftige Studien könnten helfen, biologische Marker oder ECS-Profile zu identifizieren, die eine personalisierte Therapieentscheidung ermöglichen. So ließe sich langfristig besser vorhersagen, wer von einer Cannabistherapie besonders profitieren könnte, und in welcher Form.

Trotz offener Fragen gilt: Die Kombination aus neuer wissenschaftlicher Evidenz, verbesserten Leitlinien-Empfehlungen und einer zunehmend differenzierten klinischen Anwendung deutet darauf hin, dass Cannabis künftig eine feste Rolle in der multimodalen Behandlung der Fibromyalgie einnehmen könnte – aber immer unter ärztlicher Begleitung und als Teil eines ganzheitlichen Therapiekonzepts.


Fazit

Das Fibromyalgiesyndrom bleibt eine komplexe und herausfordernde Erkrankung, die Betroffene sowohl körperlich als auch psychisch stark belasten kann. Schmerz, Erschöpfung und Schlafstörungen prägen den Alltag vieler Patient:innen und machen eine individuell angepasste Behandlung notwendig. Medizinisches Cannabis kann dabei für einige Betroffene einen ergänzenden Therapieansatz darstellen – vor allem, wenn herkömmliche Schmerzmittel keine ausreichende Wirkung zeigen oder mit starken Nebenwirkungen einhergehen. Erste Studien und Praxiserfahrungen deuten darauf hin, dass cannabisbasierte Arzneimittel Schmerzen, Schlafprobleme und Stimmungsschwankungen positiv beeinflussen können.

Dennoch gilt: Eine Cannabistherapie ist kein Wundermittel. Sie sollte immer ärztlich begleitet, individuell dosiert und im Rahmen eines ganzheitlichen Behandlungskonzepts eingesetzt werden. Dazu gehören Bewegung, Physiotherapie, psychologische Unterstützung und ein bewusster Umgang mit Stress und Schlaf. Die aktuellen Leitlinien und neuen Forschungsdaten geben Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Mit zunehmender wissenschaftlicher Evidenz und besserem Verständnis des Endocannabinoid-Systems wächst die Hoffnung, dass Cannabis künftig mehr Lebensqualität und Handlungsspielraum für Menschen mit Fibromyalgie schaffen kann.

Quellen:
[1] https://www.schmerzzentrum-wiesbaden.de/erkrankungen/fibromyalgie/ [abgerufen am: 21.10.2025]
[2] https://www.rheuma-liga.de/rheuma/krankheitsbilder/fibromyalgie [abgerufen am: 21.10.2025]
[3] https://www.dgschmerzmedizin.de/versorgung/dgs-praxisleitfaden/dgs-praxisleitfaden-fibromyalgie/ [abgerufen am: 21.10.2025]
[4] Choy, E. (2015). The role of sleep in pain and fibromyalgia. Nature Reviews Rheumatology, 11(9), 513–520.
[5] https://www.visite-medizin.de/fibromyalgie/m%C3%BCdigkeit-und-schlafst%C3%B6rungen.html [abgerufen am: 21.10.2025] 
[6] https://www.gesundheitsinformation.de/medikamente-zur-behandlung-von-fibromyalgie.html [abgerufen am: 21.10.2025]
[7] https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/145-004 [abgerufen am: 21.10.2025]
[8] García-Domínguez, M. (2025). Role of the Endocannabinoid System in Fibromyalgia. Current Issues in Molecular Biology, 47(4), 230. https://doi.org/10.3390/cimb47040230.
[9] https://www.drugscience.org.uk/cannabinoids-and-the-endocannabinoid-system-in-fibromyalgia-a-review-of-preclinical-and-clinical-re [abgerufen am: 21.10.2025]
[10] Russo, E. B. (2016). Clinical Endocannabinoid Deficiency Reconsidered: Current Research Supports the Theory in Migraine, Fibromyalgia, Irritable Bowel, and Other Treatment-Resistant Syndromes. Cannabis and Cannabinoid Research, 1(1), 154–165. https://doi.org/10.1089/can.2016.0009.
[11] Sagy, I., Bar-Lev Schleider, L., Abu-Shakra, M., & Novack, V. (2019). Safety and Efficacy of Medical Cannabis in Fibromyalgia. Journal of Clinical Medicine, 8(6), 807. https://doi.org/10.3390/jcm8060807.
[12] Wang, C., Erridge, S., Holvey, C., Coomber, R., Usmani, A., Sajad, M., Guru, R., Holden, W., Rucker, J. J., Platt, M. W., & Sodergren, M. H. (2023). Assessment of clinical outcomes in patients with fibromyalgia: Analysis from the UK Medical Cannabis Registry. Brain and Behavior, 13(8), e3072. https://doi.org/10.1002/brb3.3072.
[13] Mazza, M., Sannino, M., Cilli, T. et al. (2020). Therapeutic efficacy and safety of two different cannabis extracts in 102 patients with fibromyalgia: a multicentre, observational, open-label, two-arm Italian study. Clinical Drug Investigation, 40(6), 555-565. 
[14] Zhang, L., Reynolds Losin, E. A., Ashar, Y. K., Koban, L., & Wager, T. D. (2021). Gender biases in estimation of others’ pain. The Journal of Pain, 22(9), 1048–1059. https://doi.org/10.1016/j.jpain.2021.02.008.
[15] Chaves, C., Bittencourt, P. C. T., & Pelegrini, A. (2020). Ingestion of a THC-Rich Cannabis Oil in People with Fibromyalgia: A Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Clinical Trial. Pain medicine (Malden, Mass.), 21(10), 2212–2218. 
[16] https://dgs-praxisleitlinien.de/fibromyalgie-syndrom/ [abgerufen am: 23.10.2025] 
[17] https://dgs-praxisleitlinien.de/cannabis/ [abgerufen am: 23.10.2025]
[18] Sridharan S, Erridge S, Holvey C, Coomber R, Holden W, Rucker JJ, Platt M, Sodergren MH. Comparison of Cannabis-Based Medicinal Product Formulations for Fibromyalgia: A Cohort Study. J Pain Palliat Care Pharmacother. 2024 Oct 17:1-14.

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