Medizinisches Cannabis und Antidepressiva – Zwischen Nebel, Stress und Selbstmedikation im Herbst
KEY FACTS
- Cannabis und Antidepressiva können sich gegenseitig beeinflussen. Beide werden über dieselben Leberenzyme (CYP450) abgebaut – das kann die Wirkung der Medikamente verändern.
- Typische Nebenwirkungen der Kombination sind Müdigkeit, Schwindel und Konzentrationsprobleme.
- Psychische Risiken können steigen: Besonders Angstzustände oder Psychosen treten laut Fallberichten häufiger auf.
- Vorsicht bei bestimmten Wirkstoffen: Sertralin, Escitalopram und Citalopram reagieren besonders empfindlich auf Cannabis.
- Medizinische Beratung ist entscheidend, bevor Cannabis zusammen mit Antidepressiva konsumiert wird.
Wenn die Tage kürzer werden, das Licht grauer und der Alltag schwerer fällt, spüren viele den bekannten Herbstblues. Für manche bleibt es bei einer leichten Melancholie – andere rutschen tiefer in Depressionen oder Angstzustände. In einer Zeit von Leistungsdruck, Stress und innerer Erschöpfung suchen viele nach Wegen, um das seelische Gleichgewicht wiederzufinden. Nicht selten greifen Betroffene dabei zu Cannabis, um zu entspannen oder besser zu schlafen.
Doch was passiert, wenn man Cannabis und Antidepressiva kombiniert? Kann medizinisches Cannabis die Stimmung verbessern – oder gefährdet die Mischung die Wirksamkeit der Medikamente? Wird die Wirkung von Antidepressiva durch Medizinalcannabis verändert?
Cannabis und Antidepressiva: Zwei Systeme, ein sensibles Gleichgewicht
Sowohl Cannabis als auch Antidepressiva wirken auf das Nervensystem und verändern chemische Prozesse im Gehirn. Beide beeinflussen die sogenannten Botenstoffe – also Serotonin, Dopamin und Noradrenalin –, die unsere Stimmung, Motivation und Energie regulieren.
- Klassische Antidepressiva (z. B. Sertralin, Escitalopram, Citalopram) erhöhen den Serotoninspiegel, indem sie dessen Wiederaufnahme hemmen. Ziel: bessere Signalübertragung von Nervenzellen und damit eine Stabilisierung der Stimmung.
- Cannabis wirkt über das Endocannabinoid-System. Der Hauptwirkstoff THC (Tetrahydrocannabinol) bindet an CB1-Rezeptoren, beeinflusst die Freisetzung von Neurotransmittern, Stimmung, Motivation und Wahrnehmung. Beides – also Antidepressiva und Cannabis – wirken also auf überlappende Systeme im Gehirn: ein Grund, genau hinzusehen bei Cannabis und Antidepressiva.
„Die Kombination von Cannabis und Antidepressiva ist kein harmloses Experiment.
Beide Substanzen greifen in den gleichen Stoffwechselprozess ein – das kann die Wirkung der Medikamente unvorhersehbar verändern.“
Dr. Nadine Herwig, Leiterin der Grünhorn Academy
Wenn man Cannabis und Antidepressiva zusammen einnimmt, kann das empfindliche Gleichgewicht dieser Systeme durcheinandergeraten. Das kann sich auf die Wirksamkeit beider Substanzen auswirken – und das Risiko für Nebenwirkungen erhöhen.
Grünhorn Academy Podcast
Volksleiden #1: Medizinisches Cannabis gegen Schlafstörungen - Ein Weg aus der Dunkelheit
Wie wirkt Cannabis auf Antidepressiva?
Cannabis kann bei Einnahme von Antidepressiva die Wirkung verstärken oder abschwächen, da beide Substanzen über dieselben Leberenzyme (CYP450) abgebaut werden. Dies kann zu verstärkten Nebenwirkungen oder zu einem erhöhten Risiko psychologischer Erkrankungen führen.
Zur direkten Wirkung von Cannabis auf Antidepressiva gibt es bislang nur wenige wissenschaftliche Studien. Dennoch zeigen Fallberichte und Beobachtungen deutliche Hinweise auf mögliche Wechselwirkungen.
Mögliche Effekte umfassen unter anderem:
- Verstärkte Müdigkeit, Schwindel oder Konzentrationsprobleme
- erhöhtes Risiko psychologischer Erkrankungen (Angstzustände, Panikattacken oder Psychosen)
- Veränderung der Wirksamkeit des Antidepressivums (je nach Stoffwechsel)
- In seltenen Fällen: Serotoninsyndrom – eine gefährliche Überstimulation des Nervensystems
Besonders bei Medikamenten wie Sertralin, Escitalopram oder Citalopram kann der Cannabiskonsum die Wirkung verstärken oder abschwächen, da beide Substanzen über dieselben Leberenzyme (CYP450) abgebaut werden1.
Die Folge: Entweder wirkt das Medikament zu stark – mit erhöhter Nebenwirkung – oder zu schwach, was depressive Symptome verstärken kann.
Was darf man nicht mit Antidepressiva mischen?
Nicht nur Cannabis, sondern auch viele andere Stoffe können die Wirksamkeit von Antidepressiva beeinflussen oder gefährliche Wechselwirkungen auslösen.
Besonders kritisch sind:
- Alkohol → Verstärkt depressive Phasen, Leberbelastung
- Schlafmittel oder Benzodiazepine → Erhöhte Dämpfung des Nervensystems
- Cannabis → Unvorhersehbare Kombination mit Antidepressiva, verstärkte Nebenwirkungen
Das Fazit ist klar: Je mehr Substanzen gleichzeitig konsumiert werden, desto schwerer lässt sich die Wirksamkeit kontrollieren – und desto größer wird die Gefahr unvorhersehbarer Nebenwirkungen.
Cannabis und Sertralin, Escitalopram & Co – was die Forschung über Wechselwirkungen sagt
Es gibt mitunter Hinweise, dass Menschen, die Cannabis und Antidepressiva kombinieren, häufiger über Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und Antriebslosigkeit klagen.
Bei manchen Patient:innen reduzierte der Cannabiskonsum die Wirksamkeit von Sertralin, während andere über stärkere Nebenwirkungen berichteten. Das liegt daran, dass Cannabinoide (u.a. THC) und Antidepressiva über denselben Stoffwechselweg verarbeitet werden.
Diese Wechselwirkungen sind individuell – sie hängen von Dosis, Häufigkeit, Genetik und psychischer Stabilität ab. Kurz gesagt: Niemand kann vorhersagen, wie Cannabis und Antidepressiva im Körper interagieren.
Cannabis und Antidepressiva – ein riskantes Zusammenspiel
Die kombinierte Verwendung von Cannabis und Antidepressiva ist prinzipiell möglich. Die Anwendung sollte unter klarer Abwägung der Chancen und Risiken erfolgen. Folgende Interaktionen und Effekte spielen eine Rolle:
| Potenzielle Vorteile | Potenzielle Risiken |
| Verbesserung von Schlaf & Appetit
| Unvorhersehbare Wechselwirkungen
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| Geringere Nebenwirkungen als starke SSRI
| Gefahr von Überdosierung (CYP450)
|
| Entspannung & weniger Angst
| Verstärkte Müdigkeit, Schwindel
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| Ergänzende Therapieoption
| Wirksamkeit von SSRI kann schwanken |
Medizinisches Cannabis – wann es sinnvoll sein kann
Medizinisches Cannabis ist in Deutschland seit 2017 zugelassen und kann in bestimmten Fällen verschrieben werden, zum Beispiel bei chronischen Schmerzen, Appetitlosigkeit oder schweren Schlafstörungen.
Einige Patient:innen mit Depressionen berichten, dass sie sich durch medizinisches Cannabis ausgeglichener fühlen – besonders, wenn herkömmliche Medikamente nicht anschlagen oder nur unzureichend Linderung bringen.
Hierbei kommen meist Sorten mit niedrigem THC- und hohem CBD-Gehalt zur Anwendung, da CBD beruhigend und angstlösend wirkt, ohne die psychoaktive Wirkung von THC. Dabei sind verschiedene Cannabis Produkte möglich: Neben den Cannabisblüten gibt es auch Extrakte oder Kapseln, die zum Einsatz kommen können.
Wichtig: Medizinisches Cannabis ist kein Ersatz für Antidepressiva. Es kann in Einzelfällen ergänzend eingesetzt werden; die Behandlung sollte aber ärztlich überwacht und individuell dosiert werden, um Wechselwirkungen zu vermeiden.
Ein Psychiater oder Schmerzmediziner kann prüfen, ob eine Therapie mit medizinischem Cannabis infrage kommt – vor allem dann, wenn Nebenwirkungen klassischer Medikamente zu stark sind.
Fazit: Cannabis und Antidepressiva – eine Kombination mit Risiken
Der Gedanke, mit medizinischem Cannabis die Stimmung zu heben, ist verständlich – besonders wenn die Standard-Therapien nicht den gewünschten Erfolg bringen und man sich eine natürliche Ergänzung/Alternative wünscht. Doch wer Antidepressiva einnimmt, sollte die möglichen Wechselwirkungen und Nebenwirkungen ernst nehmen.
- Cannabis und Antidepressiva beeinflussen dieselben Systeme im Gehirn
- Die Wirksamkeit der Medikamente kann sich verändern
- Das Risiko für Serotoninsyndrom, Angst oder Rückfälle steigt
- Langfristiger, unkontrollierter bzw. nicht-ärztlich begleiteter Cannabiskonsum kann Depressionen sogar verschlimmern
Besser ist es, offen mit Ärzt:innen über den Cannabiskonsum zu sprechen. Nur so lässt sich herausfinden, welche Therapie – ob Medikamente, Therapie oder eventuell medizinisches Cannabis – wirklich sinnvoll ist.
[1] Vaughn SE, Strawn JR, Poweleit EA, Sarangdhar M, Ramsey LB. The Impact of Marijuana on Antidepressant Treatment in Adolescents: Clinical and Pharmacologic Considerations. J Pers Med. 2021 Jun 29;11(7):615.