Cannabis bei Depressionen: Chancen, Risiken und wissenschaftliche Erkenntnisse
Aktualisiert am: 18.11.2025
Key Facts:
- Cannabis und seine Wirkstoffe THC und CBD beeinflussen das Endocannabinoid-System (ECS), das eine wichtige Rolle bei der Regulierung von Stimmung und Emotionen spielt.
- Eine Dysfunktion des ECS kann mit der Entstehung von Depressionen zusammenhängen.
- CBD zeigt in Studien vielversprechende antidepressive Effekte, während hohe THC-Dosen Angst verstärken und depressive Symptome verschlechtern können.
- Unkontrollierter Cannabis-Konsum birgt Risiken wie Abhängigkeit, Verschlechterung psychischer Symptome und Wechselwirkungen mit Medikamenten – daher ist ärztliche Begleitung essenziell.
Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Krankheiten weltweit. Viele Betroffene sprechen gut auf Psychotherapie und Antidepressiva an, doch längst nicht bei allen wirken klassische Behandlungen zuverlässig. Deshalb wächst das Interesse an alternativen Therapieansätzen – darunter auch die Therapie mit medizinischem Cannabis.
Wie medizinisches Cannabis im Körper wirkt - das Endocannabinoid-System
Die wichtigsten Cannabinoide – THC (Tetrahydrocannabinol) und CBD (Cannabidiol) – interagieren mit dem Endocannabinoid-System (ECS). Das ECS beeinflusst zahlreiche Prozesse im Körper1, unter anderem:
- Stimmung und Emotionen
- Stressbewältigung
- Schlaf
- Appetit
- Neuroplastizität
Ein gut funktionierendes ECS unterstützt emotionale Stabilität. Studien zeigen, dass bei Depressionen häufig ein niedriger Endocannabinoid-Spiegel oder eine ECS-Dysfunktion vorliegt2. Dadurch reagiert das Gehirn schlechter auf Stress, was depressive Symptome und andere Beschwerden verstärken kann3,4.
„Wir wissen heute, dass das Endocannabinoidsystem eng mit Stressverarbeitung und emotionalem Gleichgewicht verbunden ist. Gerade deshalb ist es wichtig, Cannabis bei Depressionen nicht unkontrolliert einzusetzen, sondern die Mechanismen im ECS zu berücksichtigen.“
- Nadine Herwig, Leiterin der Grünhorn Academy
THC und CBD – zwei verschiedene Wirkprofile
- THC wirkt psychoaktiv und bindet an CB1-Rezeptoren im Gehirn. In niedrigen Mengen kann es beruhigend und stimmungsaufhellend wirken – in höheren Dosen hingegen Angst, Nervosität oder Paranoia auslösen.
- CBD wirkt nicht berauschend und moduliert unter anderem Serotoninrezeptoren. Es besitzt ein geringes Risiko für Nebenwirkungen und wird daher oft als sicherere Option betrachtet.
Medizinischer Deep Dive: Was sagen aktuelle Studien zur Wirksamkeit von Cannabis gegen Depressionen?
In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Studien durchgeführt, die die Wirkung von medizinischem Cannabis bei Depressionen untersuchten. Hier eine Übersicht wichtiger Ergebnisse:
- Studie 15: CBD zeigt schnelle antidepressive Effekte
Eine brasilianische Untersuchungsreihe zeigte, dass CBD bei Tieren eine schnelle und nachhaltige antidepressive Wirkung auslösen kann. CBD beeinflusst u. a. die Aktivität von Serotonin-Rezeptoren (5-HT1A).
Diese Ergebnisse gelten als vielversprechend, müssen jedoch in groß angelegten Studien bestätigt werden, um mehr Informationen und Belege zu erhalten.
- Studie 26: THC – Wirkung abhängig von der Dosierung
Eine Studie der University of Illinois (2018) fand heraus:
Niedrige THC-Dosen → leichte Stimmungsaufhellung
Hohe THC-Dosen → Zunahme von Angst und Verstärkung depressiver Symptome
Das zeigt, wie entscheidend eine kontrollierte Dosierung ist.
- Studie 37: Langzeitwirkung und Abhängigkeitspotenzial
Eine systematische Übersichtsarbeit (Frontiers in Psychiatry, 2024) analysierte die langfristige Wirkung von Cannabis bei Depressionen:
- Unregulierter, langfristiger Konsum kann die Depressionssymptomatik verschlechtern
- erhöhtes Risiko für Cannabisabhängigkeit
- mögliche Verstärkung bestehender psychischer Erkrankungen
Damit betonen Forschende, dass Cannabis nicht ohne medizinische Begleitung eingesetzt werden sollte.
Die Studienlage deutet darauf hin, dass medizinisches Cannabis durchaus potenziell antidepressive Wirkungen hat, jedoch in der Dosierung und Art der Anwendung sorgfältig kontrolliert werden sollte, um negative Auswirkungen zu vermeiden. Nur so kann es in der Therapie sinnvoll eingesetzt werden.
Wie wirkt Cannabis im Gehirn?
Cannabis beeinflusst zentrale Hirnregionen, die für Stimmung und emotionales Erleben verantwortlich sind:
CB1-Rezeptoren (v. a. im Gehirn)
- Steuerung von Emotionen, Appetit, Motivation
- werden stark durch THC aktiviert
- übermäßige Aktivierung → Angst, kognitive Einschränkungen
CB2-Rezeptoren (v. a. Immunsystem)
- regulieren Entzündungsprozesse
- könnten indirekt Stimmung verbessern, da Entzündungen bei Depressionen eine Rolle spielen
CBD – ein vielseitiger Modulator wirkt unter anderem durch:
- Erhöhung des körpereigenen Endocannabinoids Anandamid
- Wirkung auf Serotoninrezeptoren
- Hemmung stressinduzierten neuronalen Abbaus
Diese Mechanismen könnten erklären, warum CBD in Studien antidepressive Effekte zeigt.
Risiken und Nebenwirkungen der Cannabistherapie bei Depressionen
Trotz der potenziellen Vorteile ist Cannabis keine risikofreie Substanz. Besonders bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen ist Vorsicht geboten:
- 1. Verstärkung depressiver Symptome
Insbesondere bei Menschen, die empfindlich auf THC reagieren oder ein erhöhtes Psychose-Risiko haben.
- 2. Abhängigkeitspotenzial
Regelmäßiger Cannabiskonsum kann zu Toleranz und psychischer Abhängigkeit führen, vor allem wenn Cannabis unkontrolliert, nicht aufgrund ärztlicher Verschreibung eingenommen wird.
- 3. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten
Cannabis kann die Wirkung von Antidepressiva beeinflussen – ärztliche Begleitung ist notwendig.
- 4. Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit
Hohe THC-Dosen beeinträchtigen Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Motivation.
CBD vs. THC: Welches Cannabinoid ist besser geeignet?
Die Studienlage deutet klar auf CBD als sicherere Option für die Therapie hin:
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Cannabinoid
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Vorteil
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Risiko
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| CBD | nicht berauschend, stimmungsstabilisierend | wenige Nebenwirkungen, aber mehr Forschung nötig |
| THC | kann kurzfristig entspannen | Risiko für Angst und Paranoia |
Für viele Betroffene könnte ein CBD-dominantes Präparat (Cannabisblüten oder Cannabisextrakt) unter ärztlicher Anleitung sinnvoll sein. Im Rahmen der Therapie-Entwicklung wäre der Übergang zu einem THC-CBD-ausgeglichenen Präparat ebenfalls möglich.
Insbesondere in Hinblick auf mögliche Begleitsymptome wie Schlafstörungen, Angststörungen, Antriebslosigkeit oder Niedergeschlagenheit ergeben sich somit weitere positive Effekte im Rahmen der Cannabistherapie.
Fazit: Cannabis gegen Depressionen – Potenzial mit Vorsicht
Cannabis kann – richtig dosiert und medizinisch begleitet – depressive Symptome potenziell lindern. Allerdings birgt insbesondere THC erhebliche Risiken, wenn es unkontrolliert (ohne Rezept) konsumiert wird.
Eine mögliche Behandlungsstrategie könnte beinhalten:
- bevorzugter Einsatz von CBD
- sehr niedrige THC-Dosen, wenn überhaupt
- ärztliche Begleitung
- kein Ersatz für Psychotherapie oder klassische Antidepressiva, sondern Ergänzung
Für Patient:innen, bei denen herkömmliche Therapien nicht ausreichend wirken, könnte Cannabis – vor allem CBD – eine potenzielle Alternative darstellen.
Hinweis: Der Einsatz von Cannabis bei psychischen Erkrankungen sollte stets unter medizinischer Begleitung erfolgen. Dieser Artikel dient ausschließlich informativen Zwecken und ersetzt keine ärztliche Beratung.
Quellen
[1] Willen, C. Cannabisbasierte Arzneimittel: Therapieoption für die Psyche. Dtsch Arztebl
2021; 118(10): A-512/B-431.
[2] Obermanns J, Meiser H, Hoberg S, Vesterager CS, Schulz F, Juckel G, Emons B. Genetic variation of the 5-HT1A rs6295, 5-HT2A rs6311, and CNR1 rs1049353 and an altered endocannabinoid system in depressed patients. Brain Behav. 2023 Dec;13(12):e3323.
[3] Dingermann T. Grundlagen der Pharmakologie von Cannabinoiden. Schmerzmed. 2021;37(Suppl 1):8–13. German.
[4] Der Weg aus der Depression - Spektrum der Wissenschaft abgerufen am 15.11.2024
[5] Silote GP, Sartim A, Sales A, Eskelund A, Guimarães FS, Wegener G, Joca S. Emerging evidence for the antidepressant effect of cannabidiol and the underlying molecular mechanisms. J Chem Neuroanat. 2019 Jul;98:104-116.
[6] Cuttler C, Spradlin A, McLaughlin RJ. A naturalistic examination of the perceived effects of cannabis on negative affect. J Affect Disord. 2018 Aug 1;235:198-205.
[7] Sorkhou M, Dent EL, George TP. Cannabis use and mood disorders: a systematic review. Front Public Health. 2024 Apr 9;12:1346207.