Cannabis – Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten | GH Academy
Medizinisches Cannabis kann mit zahlreichen anderen Medikamenten wechselwirken. Dabei ist es möglich, dass die Wirkung entweder vermindert oder verstärkt bzw. verlängert wird. Daraus folgend kann es auch zu verstärkten Nebenwirkungen oder gar Überdosierungen kommen. Daher ist es von großer Bedeutung die Vielzahl an Interaktionen insbesondere bei der Therapieeinleitung zu beachten. Cannabis ist chemisch betrachtet kein Reinstoff, sondern ein Vielstoffgemisch. Neben den Hauptbestandteilen THC und CBD sind weitere Cannabinoide (u.a. CBN, CBG) und andere sekundäre Pflanzenstoffe (u.a. Terpene, Flavonoide) enthalten. Alle Bestandteile liegen je nach Sorte in wechselnden Konzentrationen vor, wodurch ein entsprechend hohes und vor allem komplexes Interaktionspotenzial erkennbar wird.
Pharmakologischer Hintergrund der Wechselwirkungen
Manche Bestandteile des Cannabis sind in der Lage, andere Moleküle aus ihrer Bindung an spezifische Rezeptoren zu verdrängen. Infolgedessen kann es zu höheren Konzentrationen an freiem Wirkstoff und daraufhin zu einer verlängerten Wirkung kommen. THC hat mit 95 bis 99% eine sehr hohe Plasma-Protein-Bindung und verdrängt somit zahlreiche Wirkstoffe aus der Bindung an den jeweiligen Rezeptor1.
Die Cannabinoide THC und CBD werden, ebenso wie einige andere Medikamente, in der Leber durch Enzyme des sogenannten Cytochrom-P450-Systems abgebaut2. Dadurch blockieren sie beispielsweise die Enzyme CYP3A4, CYP2D6, CYP2C9. Infolgedessen können die Wirkstoffkonzentrationen anderer Arzneimittel, die ebenfalls über diese Enzyme abgebaut werden, über einen längeren Zeitraum auf einem hohen Niveau verbleiben. Manche Medikamente liegen in der Einnahmeform lediglich als sogenannte Prodrugs vor. Diese werden erst infolge der Metabolisierung durch Enzyme in ihre aktive Form umgewandelt. Ist dieser Prozess der Umwandlung jedoch aufgrund des Blockierens der Enzyme gestört, so ist die Arzneimittel-Konzentrationen und letztlich auch deren Wirkung vermindert.
Verstärkung der Arzneimittelwirkung
Cannabinoide können die Wirkung mancher Arzneimittel verstärken, wodurch es vermehrt zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen kann. Nachfolgend sind diese (nicht vollständig) aufgeführt:
Die gleichzeitige Einnahme von Cannabis und Beruhigungs- oder Schlafmitteln kann, aufgrund ähnlicher pharmakologischer Wirkung, die Effekte beider Arzneimittel verstärken. Dabei kann es vermehrt zu Benommenheit und Schwindel kommen. Muskelrelaxierende Arzneimittel zeigen eine ähnliche Wirkung, wodurch es bei der Einnahme zusammen mit Cannabis zu einem erhöhten Sturzrisiko kommt. Generell ist bei gemeinsamer Einnahme von Cannabinoiden und Sedativa oder Hypnotika Vorsicht geboten, da es auch in diesem Falle zu additiven Wirkungen kommen kann.
Medizinalcannabis wechselwirkt mit verschiedenen Arzneimitteln, die auf das Herz-Kreislauf-System wirken. In einer Studie von Jadoon et al. wurde gezeigt, dass die Einnahme von Cannabis mit einer Senkung des Blutdruckes bei gesunden Probanden einherging5 In diesem Zusammenhang ist insbesondere bei der gleichzeitigen Einnahme von Cannabis-basierten Präparaten und Blutdruckmedikamenten Vorsicht geboten. Ebenso ist bei Antikoagulanzien (DOAK) wie Dabigatran, Rivaroxaban und Apixaban ein Einfluss der Cannabinoide denkbar. Die Blutgerinnungshemmer sind Substrate des Transporters p-Glykoprotein (Pgp), welcher durch die Cannabinoide inhibiert wird. Das kann in einer erhöhten Bioverfügbarkeit der DOAK resultieren, was unter anderem zu anhaltenden Blutungen und Blutergüssen führen kann.
Insbesondere THC kann die Wirkung von Antidepressiva wie den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) Fluoxetin, Paroxetin oder Sertralin verstärken. Im Falle der trizyklischen Antidepressiva wie Amitriptylin kann es aufgrund der Cannabiseinnahme zu einer Verstärkung der tachykarden und sedativen Wirkung kommen6.
Es wird vermutet, dass THC die antipsychotische Wirkung von Arzneimitteln hemmen und auf der anderen Seite die durch Neuroleptika ausgelösten Bewegungsstörungen reduzieren kann 7.
Cannabis-basierte Arzneimittel zeigen eine gute antiemetische (brechreizhemmende) Wirkung im Rahmen einer Zytostatika-Behandlung. Sind CYP-Enzyme am Abbau des Krebsmedikaments beteiligt, führt eine Hemmung der CYP-Enzyme durch Cannabis zu einer Steigerung der Plasmaspiegel der Wirkstoffe8. Dadurch ist andererseits eine stärkere Ausprägung der Nebenwirkungen denkbar9. Eine umfangreiche Übersicht über die Wechselwirkungen zwischen Cannabinoiden und Zytostatika liefern Bouquie et al.10.
Ebenso wie der Abbau der Zytostatika kann auch der Abbau anderer Medikamente, die über das CYP2C19 abgebaut werden, gehemmt sein. Dazu zählen beispielsweise das Pantoprazol und Clobazam. Durch den verlangsamten Abbau zeigen diese Wirkstoffe eine längere Bioverfügbarkeit. Dadurch kann die Wirkung der Benzodiazepine verlängert sein, insbesondere die antiepileptische Wirkung7.
Die augeninnendrucksenkende Wirkung von Glaukom-Medikamenten kann bei zusätzlicher Einnahme von Cannabis aufgrund deren additiven Wirkung verstärkt sein7.
Synergistische Wechselwirkungen
Manche Wechselwirkungen zwischen Cannabis und Begleitmedikamenten sind durchaus erwünscht3. Dies ist dann der Fall, wenn beide Substanzen zusammen eine stärkere Wirkung hervorrufen, als sie es getrennt eingenommen tun würden. Man spricht in diesem Zusammenhang von Synergie-Effekten.
Beispielsweise kann medizinisches Cannabis aufgrund seiner antibakteriellen Effekte die Wirkung von Antibiotika unterstützen. Ähnliches wurde bereits bei der Kombination von Medizinalcannabis und Schmerzmitteln beobachtet. So wurde in einer Studie gezeigt, dass Cannabis die analgetische Wirkung von Opioiden verstärkt4. Die Wirkweise der Schmerzmedikamente ist jedoch unterschiedlich, so dass zu Synergie-Effekten mit einzelnen Schmerzmedikamenten individuelle Studien notwendig sind.
Verminderung der Arzneimittelwirkung
Bei gleichzeitiger Einnahme mit Cannabis kann es jedoch auch zu einer verringerten Wirkung der Medikamente kommen:
In einer Studie wurde beschrieben, dass die Wirkung von Warfarin bei gleichzeitiger Einnahme mit Cannabis verringert war12. Daher wird die Einnahme von Cannabis und Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon (Marcumar® und Generika) nicht empfohlen. Das Blutungsrisiko kann steigen, da THC und CBD das Enzym CYP2C9 hemmen, über das die Gerinnungshemmer metabolisiert werden1.
Ebenso hemmt Cannabis die Umwandlung von Clopidogrel in seinen aktiven Metaboliten, wodurch dessen antithrombotische Wirkung verringert sein kann1.
Es wird vermutet, dass Cannabis die Plasmaspiegel von Metformin, welches zur Senkung des Blutzuckers eingesetzt wird, verringert13. Dafür gibt es jedoch aktuell keine hinreichenden Belege.
Umgedrehte Effekte
Neben den bereits beschriebenen Effekten von Cannabis auf die Pharmakologie anderer Arzneimittel, sind auch gegenteilige Wechselwirkungen möglich.
CYP3A4-Inhibitoren wie Verapamil, Ketoconazol, Itraconazol, Clarithromycin, Ritonavir oder Makrolidantibiotika könnten die psychoaktiven Effekte von THC verstärken, indem sie dessen Abbau verlangsamen14. Demgegenüber gibt es auch Medikamente, die die Aktivität des CYP3A4-Enzyms erhöhen, bspw. Rifampicin, Carbamazepin und Phenytoin, und somit auch die Metabolisierung von CBD und THC beschleunigen. In diesem Zusammenhang sollte auch auf die Einnahme von Johanniskraut verzichtet werden, da dieses ebenfalls CYP3A4 aktiviert14.
Analog könnten auch potente CYP2C9-Inhibitoren wie Fluconazol, Cotrimoxazol, Fluoxetin oder Amiodaron bei gleichzeitiger Anwendung mit Cannabis die Exposition gegenüber THC, CBD und dessen Metaboliten erhöhen14.
Anticholinergika, wie Atropin und Scopolamin, und Barbiturate können die tachykarden THC-Effekte verstärken. Demgegenüber vermindern Betablocker die THC-assoziierte Herzfrequenzsteigerung11.
Prochlorperazin und andere Phenothiazine vermindern den psychotropen Effekt von THC und verstärken auf der anderen Seite den brechreizhemmenden Effekt7.
Sollte Cannabis durch Rauchen eingenommen werden, entstehen durch den Verbrennungsprozess, ebenso wie beim Rauchen einer Zigarette, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die die Bildung von CYP1A2 induzieren. Dieser Effekt tritt bereits bei zweimaligem Rauchen pro Woche auf. CYP1A2 ist an der Metabolisierung verschiedener Arzneistoffe wie Theophyllin, Agomelatin, Clomipramin, Imipramin, Olanzapin, Clozapin, Zolmitriptan, Duloxetin oder Clopidogrel beteiligt. Steht mehr Enzym zur Verfügung, erhöht das deren Abbau und vermindert so deren Wirkung1.
FAZIT
Da die Studienlage in Bezug auf Wechselwirkungen Cannabis-basierter Arzneimittel mit anderen Medikamenten sehr begrenzt ist, lässt sich derzeit nur mutmaßen, welche der Effekte im Einzelfall klinisch relevant sind. Es fehlen wissenschaftliche Untersuchungen vor allem im Bereich der Komedikation mehrerer Wirkstoffe.
Eine wichtige Rolle spielt auch die Intention der Cannabiseinnahme. Medizinisch indiziert und unter ärztlicher Aufsicht werden durch die langsame Dosisfindung bei Therapieeinleitung mögliche Wechselwirkungen minimiert. Im Freizeitkonsum stehen andere Motivationen im Vordergrund. In diesem Falle passt der erfahrene Anwender beim Auftreten unerwünschter Verstärkung oder Verminderung der Arzneimittelwirkung vermutlich selbstständig die Cannabisdosis an.
Die Möglichkeiten der Interaktionen sind sehr vielfältig. Daher ist es wichtig, dass Cannabisanwendende den Arzt bzw. die Ärztin über alle Präparate einschließlich rezeptfreier Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel informieren, damit mögliche Wechselwirkungen erkannt werden können. Nur so können entsprechende Dosisanpassungen vorgenommen werden und dadurch unerwünschte Nebenwirkungen vermindert oder gar vollständig verhindert werden.
Quellenangabe
[1] https://www.pharmazeutische-zeitung.de/cannabis-als-interaktionspartner-130661/
[2] Arzneimittelinteraktionen Prinzipien, Beispiele und klinische Folgen Drug interactions Dtsch Arztebl Int 2012; 109(33-34): 546-56;
[3] Nielsen, S., Sabioni, P., Trigo, J. M., Ware, M. A., Betz-Stablein, B. D., Murnion, B., Lintzeris, N., Khor, K. E., Farrell, M., Smith, A., & Le Foll, B. (2017). Opioid-Sparing Effect of Cannabinoids: A Systematic Review and Meta-Analysis. Neuropsychopharmacology : official publication of the American College of Neuropsychopharmacology, 42(9), 1752–1765.
[4] Abrams, D. I., Couey, P., Shade, S. B., Kelly, M. E., & Benowitz, N. L. (2011). Cannabinoid-opioid interaction in chronic pain. Clinical pharmacology and therapeutics, 90(6), 844–851.
[5] Jadoon KA, Tan GD, O'Sullivan SE. A single dose of cannabidiol reduces blood pressure in healthy volunteers in a randomized crossover study. JCI Insight. 2017 Jun 15;2(12):e93760.
[6] https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-412013/erkennen-erklaeren-ersetzen/
[7] Müller-Vahl, K. und Grotenhermen, F. (2020). Cannabis und Cannabinoide in der Medizin. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin, 120-126.
[8] https://www.doccheck.com/de/detail/articles/35631-wechselwirkungen-cannabis-treibts-mit-allen
[9] Parihar, V., Rogers, A., Blain, A. M., Zacharias, S. R. K., Patterson, L. L., & Siyam, M. A. (2022). Reduction in Tamoxifen Metabolites Endoxifen and N-desmethyltamoxifen With Chronic Administration of Low Dose Cannabidiol: A CYP3A4 and CYP2D6 Drug Interaction. Journal of pharmacy practice, 35(2), 322–326.
[10] Bouquié, R., Deslandes, G., Mazaré, H., Cogné, M., Mahé, J., Grégoire, M., & Jolliet, P. (2018). Cannabis and anticancer drugs: societal usage and expected pharmacological interactions - a review. Fundamental & clinical pharmacology, 32(5), 462–484.
[11] Grotenhermen F. Praktische Hinweise. In: Grotenhermen F (Hrsg.): Cannabis und Cannabinoide. Pharmakologie, Toxikologie und therapeutisches Potential. Huber, Bern 2001.
[12] Damkier, P., Lassen, D., Christensen, M. M. H., Madsen, K. G., Hellfritzsch, M., & Pottegård, A. (2019). Interaction between warfarin and cannabis. Basic & clinical pharmacology & toxicology, 124(1), 28–31.
[13] Frisher M, White S, Varbiro G, et al. The Role of Cannabis and Cannabinoids in Diabetes. The British Journal of Diabetes & Vascular Disease. 2010;10(6):267-273.
[14] Arzneimitteltherapiesicherheit: Das Interaktionspotenzial der Cannabinoide Dtsch Arztebl 2018; 115(47): [28]; DOI: 10.3238/PersOnko.2018.11.23.05 Petri, Holger