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Medizinisches Cannabis bei Tinnitus: Aktueller Forschungsstand zum Endocannabinoid-System | GH Academy

  • CB1- und CB2-Rezeptoren sind auch im auditorischen System nachweisbar – ein möglicher Hinweis auf die Rolle des ECS bei der Entstehung und Wahrnehmung von Tinnitus.
  • Die Studienlage ist uneinheitlich – weder klar positiv noch negativ. Fallberichte deuten auf individuelle positive Effekte. Umfragen berichten über Linderung von Begleitsymptomen wie Schlaflosigkeit, Angst und Schmerzen. Tierstudien zeigen teils eine Verschlimmerung der Symptome durch THC.
  • Cannabinoide, insbesondere THC, können Tinnitus verschlimmern und Nebenwirkungen wie Schwindel, kognitive Einschränkungen und Abhängigkeitspotenzial mit sich bringen.
  • Cannabis kann bei Tinnitus-Begleitsymptomen helfen, ist jedoch keine gesicherte Therapieform für die auditiven Beschwerden selbst. Eine ärztlich begleitete Anwendung ist unerlässlich.

Tinnitus – das Wahrnehmen von Geräuschen ohne äußere Schallquelle – betrifft Millionen Menschen weltweit. Die Symptome reichen von leichtem Rauschen bis zu belastendem Pfeifen und können Schlaf, Konzentration und Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. In der Suche nach neuen Behandlungsansätzen rückt das Endocannabinoid-System (ECS) und der Einsatz von Cannabis zunehmend in den Fokus.


Verbindung zwischen dem Endocannabinoid-System und Tinnitus

Das ECS ist ein komplexes Netzwerk aus Rezeptoren (CB1, CB2), endogenen Liganden (z. B. Anandamid) und Enzymen, das zahlreiche physiologische Prozesse wie Schmerzempfinden, Stimmung und neuronale Erregbarkeit reguliert. CB1-Rezeptoren sind vor allem im zentralen Nervensystem verbreitet, während CB2-Rezeptoren hauptsächlich im Immunsystem vorkommen.

Studien haben gezeigt, dass CB1- und CB2-Rezeptoren auch im auditorischen System vorhanden sind, was auf eine mögliche Beteiligung des ECS an der Verarbeitung von Hörreizen und der Entstehung von Tinnitus hindeutet1.


Aktuelle Studienlage: Cannabis und Tinnitus

Die Forschung zu Cannabis als Therapieoption bei Tinnitus liefert bislang gemischte Ergebnisse:

  • Tierstudien: Tierstudien sprechen eher gegen einen positiven Effekt, in manchen Fällen sogar potenziell schädlich. Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Aktivierung von CB1-Rezeptoren durch Cannabinoide wie THC die neuronale Hyperaktivität im auditorischen System verstärken und somit Tinnitus-Symptome verschlimmern könnte2. Die Autoren betonen, dass das Cannabinoid-System sehr komplex ist, besonders was Immun- und Nervensystem betrifft.
  • Humanstudien: Eine kanadische Umfrage unter 45 Tinnitus-Patienten ergab, dass 80 % der aktiven Cannabisnutzer eine Linderung von Begleitsymptomen wie Schlafstörungen, Angst und Schmerzen berichteten3. Allerdings gaben nur wenige an, dass sich die auditiven Symptome selbst verbesserten. Die Mehrheit der Studien-Teilnehmenden zeigte hohes Interesse an Informationen, aber es mangelt an ärztlicher Beratung. Cannabis wird von Tinnitus-Patient:innen als potenzielle Behandlungsoption wahrgenommen, obwohl die wissenschaftliche Evidenz fehlt.
  • Fallbericht: In einem Fallbericht zeigte eine Patientin mit idiopathischer intrakranieller Hypertension, die unter Tinnitus, Kopfschmerzen und Fotophobie litt, eine deutliche Symptomlinderung nach der Einnahme von Cannabis4. Eine anschließende Therapie mit Dronabinol (synthetisches THC) führte ebenfalls zur Besserung aller Beschwerden – ohne nennenswerte psychoaktive Nebenwirkungen oder Gewichtszunahme. Diese Einzelfallbeobachtung unterstreicht den individuellen Nutzen der Cannabistherapie und die Notwendigkeit regelmäßiger, ärztlicher Kontrolle.
  • Übersichtsarbeiten: Ein Review aus dem Jahr 2020 kam zu dem Schluss, dass die aktuelle Evidenzlage weder die Wirksamkeit noch die Unwirksamkeit von Cannabis bei Tinnitus eindeutig belegen kann. Zudem könnten Cannabinoide in einigen Fällen Tinnitus sogar auslösen oder verschlimmern5.

Risiken und Nebenwirkungen

Obwohl einige Patient:innen von einer Verbesserung ihrer Lebensqualität durch Cannabis berichten, gibt es Hinweise darauf, dass insbesondere THC-haltige Produkte Tinnitus-Symptome verstärken können. Zudem sind mögliche Nebenwirkungen wie Schwindel, kognitive Beeinträchtigungen und Abhängigkeit zu berücksichtigen. Daher ist Vorsicht geboten, insbesondere bei der Selbstmedikation ohne ärztliche Begleitung.


Fazit: Potenzial und Forschungsbedarf

Das Endocannabinoid-System spielt eine vielversprechende Rolle in der Pathophysiologie von Tinnitus. Während einige Patient:innen von positiven Effekten durch Cannabis berichten, insbesondere in Bezug auf Begleitsymptome, ist die Evidenzlage hinsichtlich der direkten Beeinflussung der Tinnitus-Wahrnehmung durch Cannabinoide derzeit unklar. Weitere qualitativ hochwertige klinische Studien sind erforderlich, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabis-basierten Therapien bei Tinnitus zu bewerten.


Quellen

[1] Bhat V, Onaivi ES, Sharma V. Endocannabinoid system components as potential neuroimmune therapeutic targets in tinnitus. Front Neurol. 2023 May 25;14:1148327. 
[2] Perin P, Mabou Tagne A, Enrico P, Marino F, Cosentino M, Pizzala R, Boselli C. Cannabinoids, Inner Ear, Hearing, and Tinnitus: A Neuroimmunological Perspective. Front Neurol. 2020 Nov 23;11:505995.
[3] Mavedatnia D, Levin M, Lee JW, Hamour AF, Dizon K, Le T. Cannabis use amongst tinnitus patients: consumption patterns and attitudes. J Otolaryngol Head Neck Surg. 2023 Feb 24;52(1):19.
[4] Raby WN, Modica PA, Wolintz RJ, Murtaugh K. Dronabinol reduces signs and symptoms of idiopathic intracranial hypertension: a case report. J Ocul Pharmacol Ther. 2006 Feb;22(1):68-75.
[5] Phulka JS, Howlett JW, Hu A. Cannabis related side effects in otolaryngology: a scoping review. J Otolaryngol Head Neck Surg. 2021 Sep 27;50(1):56.