Einsatz von medizinischem Cannabis bei Hauterkrankungen | GH Academy

In Deutschland leiden rund 20 Millionen Menschen an einer chronischen Hauterkrankung, bspw. Neurodermitis, Psoriasis (Schuppenflechte) oder Akne Inversa. Solche Erkrankungen haben meist unterschiedliche Ursachen und werden neben einer genetischen Veranlagung durch Umweltfaktoren, Infektionen und Immunreaktionen beeinflusst. Neben den körperlichen Beschwerden leiden Betroffene häufig unter psychischen Belastungen, die nicht selten mit einer sozialen Isolation verbunden sind. Gängige Therapieoptionen behandeln die Ursachen oder Symptome der Erkrankung. Im Wesentlichen zählt dazu die lokale Behandlung mittels Cortison-haltiger oder immunmodulatorischer Cremes, Lotions oder Salben. In schweren Fällen kommt zudem die systemische Therapie in Form von eingenommenen Medikamenten oder Injektionen in Betracht. All diese Maßnahmen zielen letztlich darauf ab, die Entzündungsreaktion im Körper abzuschwächen. Im Rahmen der Leitlinientherapie erfahren viele Patient:innen keine ausreichende Linderung ihrer Symptome, so dass nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten gesucht wird. Im Zuge dessen zeigen erste Studien einen positiven Effekt der Therapie mit medizinischem Cannabis bei der Behandlung von Pruritus, Xerose, Prurigo und allergischer Dermatitis1. Welche Rolle das Endocannabinoidsystem bei der Ausbildung von Hauterkrankungen und wie die aktuelle Studienlage in Bezug auf den Einsatz Cannabinoid-haltiger Arzneimittel ist, können Sie in diesem Beitrag nachlesen.

Rolle des Endocannabinoidsystems ECS

Chronische Hauterkrankungen beruhen auf einem langwierigen Entzündungsgeschehen und der daraus resultierenden beschädigten Barrierefunktion der Haut. In präklinischen Studien konnte bereits gezeigt werden, dass Cannabinoide und Terpene antibakterielle, entzündungshemmende, juckreizstillende und auch schmerzlindernde Wirkungen haben können. Die genauen biochemischen Mechanismen sind jedoch noch nicht aufgeklärt.

Erste Beobachtungen haben gezeigt, dass die Konzentrationen der Endocannabinoide, bspw. dem Anandamid und 2-AG, in der Haut deutlich ansteigen, nachdem die Haut einem entzündungsfördernden oder anderen irritierenden Reiz ausgesetzt wurde2. Wissenschaftler vermuten, dass dieser Anstieg eine adaptive Reaktion des Körpers darstellt, um Schmerzen und Entzündungszustände zu reduzieren. Dies könnte im Umkehrschluss bedeuten: Wenn die Aktivität der Enzyme, die für den Abbau der Endocannabinoide im Körper verantwortlich sind, unterdrückt wird, hat dies schmerzlindernde und entzündungshemmende Wirkungen. Offenbar versucht der Körper durch eine erhöhte Produktion von Anandamid und 2-AG, den natürlichen Abbau der Endocannabinoide nach einer gewissen Zeit zu umgehen und ihre Wirkung länger aufrechtzuerhalten.

Zudem scheint das Endocannabinoidsystem auch in den Hautzellen wichtige Funktionen zu übernehmen3. Cannabinoid-Rezeptoren sind in der menschlichen Haut vorhanden, und Anandamid hemmt die Differenzierung der Keratinozyten der Epidermis. Die Psoriasis ist zum Teil durch eine Hyperproliferation der epidermalen Keratinozyten gekennzeichnet, wodurch in diesem Zusammenhang eine Fehlfunktion bzw. ein Ungleichgewicht des ECS nahe liegt4. Eine weitere Studie liefert Belege dafür, dass Cannabinoide maßgeblich zur Regulation von Angiogenese und Inflammationen bei Psoriasis beitragen5. Eine koreanische Studie kam zu ähnlichen Ergebnissen und zeigte, dass verschiedene Cannabinoide die Mastzellaktivität regulieren und dadurch Entzündungssymptome lindern können6.

Somit lässt sich schlussfolgern, dass Cannabinoide durchaus ein therapeutisches Potenzial bei der Behandlung von Hauterkrankungen besitzen. Aktuell sehen die Leitlinien keine Cannabis-basierte Therapie vor. Die Studienlage ist in diesem Zusammenhang leider noch unzureichend. Nichtsdestotrotz gibt es bereits einige Untersuchungen, die die vorherigen Aussagen untermauern.

Klinische Studien zum Einsatz von Cannabis bei Hauterkrankungen


Im Rahmen einer kleinen klinischen Studie am Universitätsklinikum in Münster wurden 22 Patient:innen mit chronischem, therapieresistenten Pruritus mit topischen Cannabinoid-Agonisten behandelt7. Bei 14 Patient:innen wurde ein guter bis sehr guter antipruritischer Effekt dokumentiert, wobei der Juckreiz signifikant abnahm. Zudem wurde die Therapie von allen Teilnehmenden gut toleriert. In einer weiteren Studie an der medizinischen Universität in Wrocław (Polen) mit 21 Pruritus-Patient:innen berichteten sieben von ihnen, dass nach 3-wöchiger Behandlungszeit mit einer Endocannabinoid-angereicherten Creme der Juckreiz vollständig abgeklungen war8.

Eine neuere Untersuchung mit fast 2.500 Patient:innen zeigte eine ähnlich gute Wirksamkeit einer Creme mit dem Cannabinoid PEA bei der Behandlung von Juckreiz9. Sowohl die Probanden als auch die behandelnden Ärzt:innen berichteten von einer deutlichen Verbesserung der Symptome. Bei 41 % der Anwender nahm der Juckreiz deutlich ab, bei 38,3 % hörte er sogar komplett auf. Ebenfalls in dieser Studie wurde die Verträglichkeit als gut bis sehr gut beschrieben.

Bei der Anwendung einer CBD-Creme konnte eine deutliche Verringerung des Juckreizes, bei 67 % der Probanden, sowie eine Verbesserung des Ekzems (bei 50 % der Probanden) festgestellt werden10. Eine Online-Befragung macht deutlich, dass neben der Behandlung der körperlichen Symptome auch eine Verbesserung der psychosozialen Belastung erreicht werden konnte.

In einer kleinen Studie mit elf gesunden Männern wurde die Hautveränderung nach Auftragen einer Basiscreme mit 3 % Cannabisextrakt untersucht11. Nach 12 Wochen war der Talg- und Erythemgehalt der Haut der Männer der Verumgruppe signifikant verringert im Vergleich zur Kontrollgruppe.

Die Übersichtsarbeit von Martins und ihren Kolleginnen zeigt weitere aktuelle Studien zum Einsatz von Cannabis-basierten Produkten bei Akne und Seborrhöe, atopischer Dermatitis, Psoriasis und Kontaktdermatitis12. Sie kommen zu dem Schluss, dass der Einsatz der Cannabistherapie einen vielversprechenden Ansatz darstellt. Um jedoch solche Möglichkeiten weiter zu erforschen, muss das Wissen über das kutane Cannabinoidsystem erweitert werden. Zudem müssen die präklinischen Erkenntnisse im Rahmen von klinischen Studien an Probanden validiert werden.

Fazit


Unter Dermatolog:innen ist die Therapie mit Cannabinoiden noch nicht weit verbreitet. Dennoch sollte sie unter gewissen Umständen, vor allem bei Nicht-Wirksamkeit gängiger Medikamente, in Betracht gezogen werden. Im Gegensatz zu topischen (meist Cortison-haltigen) Medikamenten, die häufig nur kurzfristig eingesetzt werden sollten und zum Teil starke Nebenwirkungen aufweisen, kann die Behandlung mit medizinischem Cannabis eine bessere Alternative darstellen. Neben eindrucksvollen Einzelfallberichten gibt es insbesondere zur Linderung von Juckreiz bereits einige klinische Untersuchungen, die den therapeutischen Nutzen verdeutlichen.

Viele Cannabinoide und Terpene sind bekannt für ihre entzündungshemmenden, antiangiogenen und antibakteriellen Eigenschaften. Bei den meisten Hauterkrankungen spielen lokale Entzündungsreaktionen eine entscheidende Rolle. Folglich ist die Schutzbarriere der Haut gestört und macht sie zudem anfällig für weitere Krankheitserreger. Daher liegt es nahe, dass der Einsatz von Cannabis-haltigen Arzneimitteln zur Behandlung von insbesondere chronischen Hautkrankheiten hilfreich sein kann. Da Patient:innen mit Hautkrankheiten darüber hinaus zum Teil auch chronische Schmerzen haben, kann medizinisches Cannabis auch für dieses Symptom eine wirksame, ganzheitliche Therapie darstellen. Auch wenn es derzeit zu wenige klinische Beweise für eine wirksame Behandlung von Hauterkrankungen mittels Cannabistherapie gibt, so bleibt die gezielte Beeinflussung des ECS in der Haut eine vielversprechende Möglichkeit, die weitere und vor allem umfassendere Studien rechtfertigt.

Quellen:

[1] Shao, K., Stewart, C., & Grant-Kels, J. M. (2021). Cannabis and the skin. Clinics in dermatology, 39(5), 784–795.
[2] Chen, L., Zhang, J., Li, F., Qiu, Y., Wang, L., Li, Y. H., Shi, J., Pan, H. L., & Li, M. (2009). Endogenous anandamide and cannabinoid receptor-2 contribute to electroacupuncture analgesia in rats. The journal of pain, 10(7), 732–739.
[3] Bíró, T., Tóth, B. I., Haskó, G., Paus, R., & Pacher, P. (2009). The endocannabinoid system of the skin in health and disease: novel perspectives and therapeutic opportunities. Trends in pharmacological sciences, 30(8), 411–420.
[4] Wilkinson, J. D., & Williamson, E. M. (2007). Cannabinoids inhibit human keratinocyte proliferation through a non-CB1/CB2 mechanism and have a potential therapeutic value in the treatment of psoriasis. Journal of dermatological science, 45(2), 87–92.
[5] Norooznezhad, A. H., & Norooznezhad, F. (2017). Cannabinoids: Possible agents for treatment of psoriasis via suppression of angiogenesis and inflammation. Medical hypotheses, 99, 15–18.
[6] Nam, G., Jeong, S. K., Park, B. M., Lee, S. H., Kim, H. J., Hong, S. P., Kim, B., & Kim, B. W. (2016). Selective Cannabinoid Receptor-1 Agonists Regulate Mast Cell Activation in an Oxazolone-Induced Atopic Dermatitis Model. Annals of dermatology, 28(1), 22–29.
[7] Ständer, S., Reinhardt, H. W., & Luger, T. A. (2006). Topische Cannabinoidagonisten. Eine effektive, neue Möglichkeit zur Behandlung von chronischem Pruritus [Topical cannabinoid agonists. An effective new possibility for treating chronic pruritus]. Der Hautarzt; Zeitschrift fur Dermatologie, Venerologie, und verwandte Gebiete, 57(9), 801–807.
[8] Szepietowski, J. C., Szepietowski, T., & Reich, A. (2005). Efficacy and tolerance of the cream containing structured physiological lipids with endocannabinoids in the treatment of uremic pruritus: a preliminary study. Acta dermatovenerologica Croatica : ADC, 13(2), 97–103.
[9] Eberlein, B., Eicke, C., Reinhardt, H. W., & Ring, J. (2008). Adjuvant treatment of atopic eczema: assessment of an emollient containing N-palmitoylethanolamine (ATOPA study). Journal of the European Academy of Dermatology and Venereology : JEADV, 22(1), 73–82.
[10] Maghfour, J., Rietcheck, H. R., Rundle, C. W., Runion, T. M., Jafri, Z. A., Dercon, S., Lio, P., Fernandez, J., Fujita, M., Dellavalle, R. P., & Yardley, H. (2020). An Observational Study of the Application of a Topical Cannabinoid Gel on Sensitive Dry Skin. Journal of drugs in dermatology : JDD, 19(12), 1204–1208.
[11] Ali, A., & Akhtar, N. (2015). The safety and efficacy of 3% Cannabis seeds extract cream for reduction of human cheek skin sebum and erythema content. Pakistan journal of pharmaceutical sciences, 28(4), 1389–1395.
[12] Martins AM, Gomes AL, Vilas Boas I, Marto J, Ribeiro HM. Cannabis-Based Products for the Treatment of Skin Inflammatory Diseases: A Timely Review. Pharmaceuticals (Basel). 2022 Feb 9;15(2):210. doi: 10.3390/ph15020210. Erratum in: Pharmaceuticals (Basel). 2022 Jul 11;15(7): PMID: 35215320; PMCID: PMC8878527.
Autor: Dr. Nadine Herwig
Dr. Nadine Herwig - Leiterin Grünhorn Academy
Dr. Nadine Herwig studierte von 2006 bis 2010 Angewandte Naturwissenschaften an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. Ihre Promotion führte sie am Helmholtz-Zentrum in Dresden-Rossendorf am Institut für Radiopharmazie durch. Zu ihren bislang publizierten wissenschaftlichen Arbeiten gehören u. a. Originalartikel auf dem Gebiet der Hautkrebsforschung und der Biomarker.